Leitsatz (amtlich)
Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ist das Ausbleiben zu einem Gerichtstermin i.d.R. auch dann als entschuldigt i.S.d. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO bzw. § 74 Abs. 2 OWiG anzusehen, wenn es auf einem - auch unrichtigen - Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht.
Verfahrensgang
AG Münster (Entscheidung vom 25.02.2005) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Münster zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat durch das angefochtene Urteil den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Münster vom 24. August 2004, durch den wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 42 km/h ein Bußgeld von 125,- EUR sowie ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt worden sind, gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, da der Betroffene, der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden worden war, im Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei.
Der mit Schriftsatz des Verteidigers vom 21. März 2005 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 6. Juli 2005 als unzulässig und die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde mit Beschluss des Landgerichts Münster vom 16. Dezember 2005 als unbegründet verworfen worden.
Mit dem Wiedereinsetzungsgesuch und der zugleich erhobenen Rechtsbeschwerde ist vorgetragen worden, der Betroffene sei ohne eigenes Verschulden gehindert gewesen, am Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Münster am 25. Februar 2005 teilzunehmen. Der Betroffene habe am Abend des 24. Februar 2005 durch die Kanzlei seines Verteidigers die Mitteilung unterhalten, dass dieser infolge Erkrankung an der Wahrnehmung des Termins zur Hauptverhandlung gehindert sei. Diese Erkrankung sei am Abend des 24. Februar 2005 plötzlich aufgetreten. Da der Verteidiger alleiniger Sachbearbeiter sei, sei dem Betroffenen mitgeteilt worden, dass man per Fax einen Antrag auf Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung stellen werde. Da von einer Verlegung dieses Termins auszugehen sei, brauche er nicht vor Gericht zu erscheinen. Der Antrag auf Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung gegen den Betroffenen wurde sodann am Vormittag des 25. Februar 2005 an das Amtsgericht Münster gefaxt. Eine Entscheidung darüber sei nicht erfolgt. Vielmehr sei in der Sitzung vom 25. Februar 2005 der Einspruch des Betroffenen verworfen worden.
Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ist überwiegend anerkannt, dass ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt i.S.d. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO bzw. § 74 Abs. 2 OWiG anzusehen sein kann, wenn es auf einem - auch unrichtigen Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 74 Rdnr. 32 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 329 Rdnr. 29 m.w.N.). So wurde beispielsweise entschieden, dass ein Betroffener entschuldigt dem Termin ferngeblieben ist, wenn über einen Antrag seines Verteidigers auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen trotz rechtzeitiger Antragstellung nicht entschieden wurde (vgl. OLG Düsseldorf DAR 1998, 204). Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der Verteidiger zudem seinen Mandanten dahingehend beraten hatte, er brauche zum Termin nicht zu erscheinen, sofern der Entbindungsantrag nicht abgelehnt werde (vgl. BayObLG NJW 1995, 1568). Gleichwohl ist der Hinweis des Verteidigers, dass eine Pflicht vor Gericht zu erscheinen nicht bzw. wegen eines Verlegungsantrages zu einem bestimmten Termin nicht bestehe, aber nicht unbeschränkt und in jedem Fall geeignet, ein Verschulden des Betroffenen auszuschließen. Vielmehr ist ein Vertrauen auf derartige Hinweise des Verteidigers dann nicht gerechtfertigt, wenn sich dem Betroffenen nach der konkreten Sachlage Zweifel aufdrängen müssen, ob der Hinweis seines Verteidigers zutreffend ist (vgl. BGHSt 14, 309). Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der von der Verteidigung erteilten Auskunft, muss dem durch Nachfrage bei Gericht nachgegangen werden; anderenfalls ist er nicht entschuldigt (vgl. Göhler a.a.O. m.w.N.).
Ob der Betroffene hier Veranlassung gehabt hätte, sich nach dem Schicksal des sehr kurzfristig vor der Hauptverhandlung gestellten Verlegungsantrages durch eine Nachfrage beim Amtsgericht zu erkundigen, kann letztlich dahinstehen. Der vorliegende Fall weist nämlich eine von den üblichen Gestaltungen abweichende Besonderheit auf. Der Betroffene wohnt in 75196 Remchingen. Der Hauptverhandlungstermin war auf 12.10 Uhr terminiert. Die Mitteilung seines Verteidigers, er, der Betroffene, brauche wegen dessen Erkrankung und der zu erwartenden Terminsverlegung nicht zum Hauptverhandlungstermin zu erscheinen, ist erst am Vorabend erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt war der Verlegungsantrag nach Auskunft des Verteidigers noch nicht gestellt, dieser sollte vielmehr erst am nächsten Morgen per Fax...