Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewährung. Widerruf. Weisung. Aufenthalt. Therapie. Einwilligung. Bestimmtheit. rechtliches Gehör. Begründungstiefe
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erteilung einer Einwilligung in eine einwilligungsbedürftige Weisung i.S.v. § 56c Abs. 3 StGB ist auch konkludent möglich.
2. Bei der Erteilung einer Weisung hat das Gericht die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat. Eine Therapieweisung muss regelmäßig Angaben zur Art und zur stationären oder ambulanten Durchführung der Behandlung, zur Therapieeinrichtung oder zum Therapeuten, zur Dauer der Therapie und zur Art und Häufigkeit der Termine enthalten.
3. In einem bewussten Verhalten, das eine Entlassung aus der Einrichtung, in der der Verurteilte im Rahmen einer Weisung nach § 56c Abs. 3 Nr. 2 StGB Aufenthalt zu nehmen hat, zur Folge hat, kann ein gröblicher Weisungsverstoß i.S.v. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen.
4. Die Belehrung nach §§ 453a, 268a Abs. 3 StPO ist keine materiellrechtliche Voraussetzung eines Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung. Eine fehlende Belehrung gebietet lediglich eine besonders sorgfältige Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen.
Normenkette
StGB § 56c Abs. 3 Nr. 2, Abs. 1, § 56f Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 2 Abs. 2 Sätze 2-3, Art. 104; StPO §§ 453a, 268a Abs. 3
Verfahrensgang
AG Ahaus (Entscheidung vom 11.08.2015; Aktenzeichen 3 Ls 240 Js 1005/14 - 68/14) |
AG Ahaus (Entscheidung vom 01.07.2016; Aktenzeichen 3 Ls 240 Js 1005/14 - 68/14) |
AG Ahaus (Entscheidung vom 27.01.2017; Aktenzeichen 3 Ls 240 Js 593/16 - 57/16) |
AG Münster (Entscheidung vom 26.11.2014) |
LG Münster (Aktenzeichen 18 StVK 392/20 BEW) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Münster zurückgegeben.
Gründe
I.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 11.08.2015 verhängte das Amtsgericht Ahaus (3 Ls 240 Js 1005/14 - 68/14) gegen den langjährig betäubungsmittelabhängigen und vielfach vorbestraften Verurteilten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Wochen, die mit Beschluss des Amtsgerichts Ahaus vom 01.07.2016 aufgelöst und aus deren Einzelstrafen unter Einbeziehung der Strafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Münster vom 26.11.2014 eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat gebildet wurde. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.01.2017 (3 Ls 240 Js 593/16 - 57/16) verhängte das Amtsgericht Ahaus gegen den Verurteilten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in zwei Fällen, davon in einem Fall in nicht geringer Menge, eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten.
Nach Durchführung einer Therapie nach § 35 BtMG setzte das Amtsgericht mit rechtskräftigen Beschlüssen vom 10.06.2020 in beiden Verfahren die Reststrafen zur Bewährung aus und erteilte dem Verurteilten (u. a.) die Weisung, "die Wiedereingliederungsmaßnahme bei der Einrichtung A e.V. Bstraße fortzuführen und diese nicht ohne Einwilligung des Therapeuten aufzugeben".
Hintergrund dieser Weisung ist Folgender: Nachdem der - weiterhin anwaltlich verteidigte - Verurteilte die Therapiemaßnahme i.S.d. § 35 BtMG durchgeführt hatte, sollte und wollte er ab Dezember 2019 (vgl. Bl. 104 VH 240 Js 593/16 BtM-Sonderheft) eine Adaptionsmaßahme in der Einrichtung C in D durchführen. Dorthin begab er sich jedoch nicht. Daraufhin hörte das Amtsgericht ihn am 06.01.2020 schriftlich im Rahmen der Prüfung, ob die Restfreiheitsstrafe in dem Verfahren 240 Js 593/16 zur Bewährung ausgesetzt werden soll, an. Mit Schreiben vom 08.01.2020 hörte es den Verurteilten schriftlich dazu an, dass beabsichtigt sei, ihm im Falle der Reststrafenaussetzung zur Bewährung aufzugeben, die o. g. Adaptionsmaßnahme durchzuführen und nicht ohne Einwilligung des Therapeuten zu verlassen. In dem Verfahren 240 Js 1005/14 hörte das Amtsgericht ihn mit Schreiben vom 16.11.2020 zur beabsichtigten Reststrafenaussetzung an, ohne allerdings diese Weisung zu thematisieren. Mit Schreiben vom 30.04.2020 hörte das Amtsgericht den Verurteilten erneut schriftlich an und wies darauf hin, dass eine Reststrafenaussetzung wegen des Nichtantritts der Adaptionsmaßnahme ausscheiden könne. Ein entsprechender Hinweis erfolgte auch in dem Verfahren 240 Js 593/16.
Der Verurteilte teilte daraufhin am 26.05.2020 telefonisch mit, dass er sich bei der A Bstraße beworben habe, was sich wegen Corona verzögert habe und legte eine entsprechende Bestätigung vor.
In einem Vermerk des Amtsgerichts vom 10.06.2020 ist festgehalten, dass der Verurteilte eine Kostenzusage für sechs Monate, verlängerbar auf 18 Monate, für den Aufenthalt in der Einrichtung A erhalten habe und dort seit dem 08.06.2020 wohne. Er befinde sic...