Leitsatz (amtlich)
Das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ist hinsichtlich der einzelnen Schlussfolgerungen zu bewerten, ob konkrete (unstreitige) Belegtatsachen vorliegen.
Ein konstanter Wille des Kindes ist beachtlich, wenn die Überwindung des Willens seinerseits eine Kindeswohlgefährdung darstellen würde. Sollten das Elternrecht und das Recht des Kindes auf "Schutz vor den Eltern" im konkreten Fall unversöhnlich aufeinander treffen, setzt sich der Schutz des Kindes vor seinen Eltern in der verfassungsgerichtlichen Prüfung durch.
Verfahrensgang
AG Schwerte (Beschluss vom 08.09.2015; Aktenzeichen 3 F 148/14) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindeseltern wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Schwerte vom 8.9.2015 abgeändert und zum Vormund der Jugendlichen D S, geboren am 1.5.20xx, bestellt:
Frau C
Betreuungsverbund der Diakonie e.V. Geschäftsstelle T-Straße xx
xxxxx T
Der Umgang der Kindeseltern mit der Jugendlichen D S, geboren am 1.5.20xx, wird bis zum 30.11.2016 ausgeschlossen.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Kindeseltern zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kindeseltern.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Aus der Ehe der beteiligten Kindeseltern ist die betroffene Jugendliche D, geboren am 1.5.20xx, hervorgegangen, die im Haushalt ihrer Eltern lebte. Am 17.6.2014 wandte sich die Jugendliche zunächst an einer Lehrerin um Hilfe und wurde sodann beim Jugendamt Inobhut genommen (§ 42 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VIII). Seither lebt sie im Haushalt ihrer Halbschwester T2 X, geboren am 21.7.19xx, und deren Ehemann K B X.
Die Halbschwester T2 stammt aus der ersten Ehe der Kindesmutter. Sie zog im Alter von 18 Jahren aus und ist seit 2004 verheiratet. Der Kontakt der Kindeseltern zu T2 war zwischenzeitlich abgebrochen (ab ca. 2004), besteht aber seit 2011 wieder in unregelmäßigen Abständen.
D hat erklärt, sie wolle nicht mehr in den elterlichen Haushalt zurückkehren. Dort habe es immer Chaos gegeben. Ihr Vater habe sie wegen Kleinigkeiten geschlagen, getreten oder ignoriert. Ihre Mutter habe ihr nicht geholfen. Da sie Angst vor ihrem Vater habe, wolle sie diesen nicht treffen. Auch ihre Mutter wolle sie derzeit nicht sehen - bei dem letzten Umgangskontakt hätten sie nicht gewusst, was sie sich sagen sollten.
Das zuständige Jugendamt hat beantragt, den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, sowie die Vertretung gegenüber Behörden, insbesondere das Antragsrecht für Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII sowie die Gesundheitsfürsorge zu entziehen und einem Ergänzungspfleger zu übertragen.
Die Kindeseltern haben erstinstanzlich Antragszurückweisung, die Anordnung der Kindesherausgabe an sie und hilfsweise ein Umgangsrecht wöchentlich von freitags 14.00 Uhr bis sonntags 17.00 Uhr beantragt.
Sie haben erklärt, dass sie die Vorwürfe Ds nicht nachvollziehen könnten, und behauptet, der Aufenthalt im Haushalt der Halbschwester T2 widerspreche dem Kindeswohl.
Das Familiengericht hat zunächst in der Hauptsache mit Beschluss vom 30.7.2014 den Kindeseltern das Sorgerecht entzogen, Vormundschaft angeordnet und das Jugendamt T3 zum Vormund bestellt. Auf die Beschwerde der Kindeseltern hat der Senat mit Beschluss vom 2.10.2014 diese Entscheidung wegen unzureichender Sachverhaltsermittlung aufgehoben und das Verfahren an das AG zurückverwiesen. Sodann hat das Familiengericht in der Hauptsache ein Sachverständigengutachten der Dipl.-Psych. F eingeholt und den Kindeseltern mit Beschluss vom 6.1.2015 im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung entzogen und Ergänzungspflegschaft angeordnet. Auf die Beschwerde der Kindeseltern gegen die einstweilige Anordnung hat der Senat mit Beschluss vom 22.6.2015 den erstinstanzlichen Beschluss abgeändert und das Sorgerecht bei den Kindeseltern belassen. Sodann hat das Jugendamt D am 13.8.2015 erneut in Obhut genommen.
Das Familiengericht hat mit dem nun - im Hauptsacheverfahren ergangenen - angefochtenen Beschluss den Kindeseltern das Sorgerecht für D entzogen, Vormundschaft durch das Jugendamt der Stadt T3 angeordnet, das Umgangsrecht der Kindeseltern bis zum 1.3.2016 ausgeschlossen und den Herausgabeantrag der Kindeseltern abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Entzug des Sorgerechts zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich sei. Nach dem Sachverständigengutachten sei das Sorgerecht auf einen Pfleger mit der Maßgabe des Lebensmittelpunktes bei der Halbschwester zu übertragen, sollten sich die Kindeseltern mit diesem Lebensmittelpunkt von D nicht einverstanden erklären. Beide Kindeseltern seien wegen mangelnden Einfühlungsvermögens in der Erziehungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Es bestehe eine jahrelange, tief greifende Beziehungsstörung zwischen D und beiden Kindeseltern. Der Kindesmutter sei es nicht gelungen, auf Erlebnisschilderungen und emotionale Befindlichkeiten ihrer Tochter einzugehen. Die Kindese...