Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfung der Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende. nachträgliche Gesamtstrafenbildung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Revisionsgericht eine nach allgemeinem Strafrecht erfolgte Verurteilung wegen einer der von einer Heranwachsenden begangenen Taten und daher auch den Gesamtstrafenausspruch des ursprünglichen Urteils aufgehoben, ist in diesem Umfang auch dann eine neue Entscheidung über die eventuelle Anwendung des Jugendrechts gemäß § 105 JGG erforderlich, wenn die im Übrigen - nach allgemeinem Strafrecht - verhängten Einzelstrafen rechtskräftig und die diesbezüglichen Feststellungen bindend geworden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2005 - 4 StR 67/05 -, juris).

2. Strafzumessungserwägungen, nach denen die Angeklagte "keine irgendwie geartete Einsicht in das Unrecht ihres Tuns" habe erkennen lassen und "an keiner Stelle irgendwie auch nur das geringste Bedauern gegenüber dem geschädigten Zeugen geäußert" habe, lassen besorgen, dass dem Fehlen von Strafmilderungsgründen eine strafschärfende Bedeutung beigemessen worden ist.

3. In Fällen, in denen dem Tatgericht bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe "echte Zumessungsfehler" unterlaufen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17.08.2005 - 2 StR 6/05 -, juris) bzw. eine tatrichterliche Neubewertung der Zumessungsgesichtspunkte erforderlich ist, ist eine Verweisung gemäß § 354 Abs. 1b S. 1 StPO auf eine Entscheidung im Beschlusswege gemäß §§ 460, 462 StPO auch nach Auffassung des Senats in der Regel ungeeignet.

 

Normenkette

JGG § 105 Abs. 1; StGB § 46; StPO § 354 Abs. 1b S. 1

 

Verfahrensgang

AG Lünen (Entscheidung vom 20.06.2016; Aktenzeichen 17 Cs 80/16)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen; jedoch wird der Tenor des angefochtenen Urteils klarstellend dahin berichtigt, dass die Angeklagte der tätlichen Beleidigung (statt: "tätlicher Beleidigung als Heranwachsende") in drei Fällen schuldig ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendrichter - Lünen zurückverwiesen.

Die sofortige Beschwerde der Angeklagten ist gegenstandslos.

 

Gründe

I.

Die Angeklagte ist am 20.06.2016 durch das Amtsgericht - Jugendrichter - Lünen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung - geahndet mit einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen - sowie zweifacher Beleidigung - geahndet jeweils mit einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen - zu einer Gesamtgeldstrafe von 65 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt worden.

Auf die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 10.11.2016 (III-1 RVs 82/16) das angefochtene Urteil im Schuldspruch und im Rechtsfolgenausspruch bezüglich der Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision ist mit der klarstellenden Berichtigung verworfen worden, dass die Angeklagte der zweifachen tätlichen Beleidigung schuldig ist.

Sodann hat das Amtsgericht Lünen, an das die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden war, die Angeklagte am 21.06.2017 wegen "tätlicher Beleidigung als Heranwachsende in 3 Fällen" zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt, wobei für die nunmehr erstmals als solche abgeurteilte dritte tätliche Beleidigung ebenfalls eine Einzelgeldstrafe von 15 Tagessätzen verhängt worden ist und der Angeklagten die gesamten Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit einem rechtzeitig eingelegten Rechtsmittel, das sie nach Zustellung des Urteils innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als Sprungrevision bezeichnet und mit den Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet hat. Überdies wendet sie sich mit einer zugleich eingelegten sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, beide Rechtsbehelfe als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision der Angeklagten ist zulässig und hat teilweise - zumindest vorläufig - Erfolg. Im Umfang der Aufhebung war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lünen zurückzuverweisen. Die weitergehende Revision war - neben der Berichtigung des Tenors des angefochtenen Urteils - nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

1.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat - wie bereits die Generalstaatsanwaltschaft Hamm in ihrer Zuschrift vom 06.10.2017 zutreffend ausgeführt hat - auch unter Berücksichtigung der Rüge eines vermeintlich fehlenden Hinweises gemäß § 265 Abs. 1 StPO hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum ...

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