Leitsatz (amtlich)
1. Grundstückseigentümer können ihre Räum- und Streupflicht für öffentlich zugängliche Wege auf Dritte delegieren, so dass bei einer Verletzung der Räum- und Streupflicht der Dritte haftet, wenn - wie hier - die Übertragung klar und eindeutig vereinbart wird, so dass eine Ausschaltung von Gefahren zuverlässig sichergestellt ist.
2. Nach einer Delegation der Räum- und Streupflicht auf einen Dritten verbleibt Grundstückseigentümern eine Überwachungs- und Kontrollpflicht gegenüber dem Dritten, deren Verletzung nur dann schadensursächlich werden kann, wenn der die Räum- und Streupflicht übernehmende Dritte seinerseits die übernommene Räum- und Streupflicht verletzt.
3. Auf einem eher selten genutzten Weg zu Mülltonnen auf einem mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstück bezieht sich die Räum- und Streupflicht nur auf eine Durchgangsbreite, die für die Begehung durch eine Person ausreicht.
4. Erst wenn die klagende Partei ihrer Darlegungslast genügt und im Bestreitensfall eine Verkehrssicherungspflichtverletzung beweist, spricht nach dem ersten Anschein eine Vermutung dafür, dass sich in dem Unfall im Bereich der Gefahrenquelle gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten (im Anschluss an BGH Beschl. v. 26.2.2009 - III ZR 225/08, zfs 2010, 132 Rn. 5). Dies kommt nicht in Betracht, wenn die klagende Partei - wie hier - außerhalb des geräumten und gestreuten Weges stürzt.
Verfahrensgang
LG Paderborn (Aktenzeichen 2 O 434/19) |
Tenor
Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.
Gründe
Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senates offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der weiteren Haftung aufgrund des Sturzgeschehens am 02.02.2019 in Anspruch.
Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung in der Wohnungseigentumsanlage G-Str. ... in I. Bei der Beklagten handelt es sich um die entsprechende Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Beklagte hatte im Winter 2018/19 über ihren Hausverwalter die Streithelferin als Inhaberin des Fachunternehmens E mit der Durchführung der Hausmeistertätigkeiten und in den Monaten Oktober bis April zusätzlich mit der des Winterdienstes beauftragt. Daraus ergab sich bei entsprechender Witterungslage (Glatteis) die vertragliche Verpflichtung der Streithelferin, bis 7.00 h morgens eine Fläche von jeweils 1 m Breite von der Haustür zur Straße und zu den Mülltonnen im Hof abzustreuen. Bei Schneefall war eine entsprechende Fläche zu räumen. Nachdem es am 31.01.2019 geschneit hatte, wurde im Hof ein schmaler Weg vom Wohngebäude zu den Mülltonnen geräumt. Es setzte sodann in den nächsten Tagen zunächst Tauwetter mit Regen ein. Inzwischen ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es am 02.02.2019 nach Nachtfrost Glatteisbildung gab. Ihren ursprünglich abweichenden Vortrag hält die Beklagte nach Vorlage einer amtlichen Auskunft der Gemeinde I, nach der bei Temperaturen zwischen 0°C und 1°C gebietsweise Schneeglätte und stellenweise Bodenfrost vorgeherrscht haben und die öffentlichen Straßen wegen Glatteises und Regen um 6.00 h morgens mit Salz gestreut wurden, nicht mehr aufrecht.
Ob der Winterdienst von der Firma E am 02.02.2019 auftragsgemäß ausgeführt worden ist, ist streitig.
Die Klägerin begab sich gegen 13.00 h zu den unmittelbar neben dem Fahrradschuppen und der Heizungsanlage befindlichen Mülltonnen im Hof. Dabei rutschte die Klägerin aus und fiel auf das Gesäß. Am 21.05.2019, also über drei Monate nach dem Unfall, wurde bei der Klägerin, die wegen anhaltender Schmerzen einen Arzt aufsuchte, eine LWK-2-Fraktur (Bruch des 2. Lendenwirbelkörpers) festgestellt. Die Klägerin wurde orthopädisch behandelt und bekam Krankengymnastik verordnet. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten lehnte sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber ihren Prozessbevollmächtigten jegliche Haftung ab.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin immateriellen Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld. Zudem will sie die Haftung der Beklagten für materielle und künftige immaterielle Schäden festgestellt wissen.
Die Klägerin behauptet, am 02.02.2019 habe es im Hof mehrere vereiste Stellen gegeben, die nicht ohne weiteres erkennbar gewesen seien. Auf einer dieser Stellen sei sie ausgerutscht. Entweder habe die Streithelferin an diesem Tag den Winterdienst gar nicht oder nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Die Beklagte habe die Streithelferin nicht ausreichend kontrolliert und überwacht. Die Klägerin behauptet weiter, die LWK-2-Fraktur sei eine Folge ihres Sturzes vom 02.02.2019. Nach wie vor leide sie an Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbel und sei deswegen auch weiterhin in ärztlicher Behandlung. Die Beklagte sei ihr aufgrund dieses Vorfalls ...