Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Unterbringung. Unterbringungsbefehl. erhebliche Taten. Gefährlichkeitsprognose. Wahrscheinlichkeit höheren Grades. symptomatischer Zusammenhang
Leitsatz (amtlich)
1) Zu den Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringungen nach § 126a StPO.
2) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten sind.
3) Als erhebliche Anlasstaten können nur solche Taten für die Gefährlichkeitsprognose herangezogen werden, die ihrerseits in einem Zusammenhang mit der Erkrankung des Täters stehen (Anschluss an BGH NStZ-RR 2021, 208).
4) Sind die Anlasstaten nicht selbst erheblich, ist durch eine umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu ermitteln, ob besondere Umstände im Sinne im Sinne von § 63 S. 2 StGB vorliegen. Maßgeblich sind insofern die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (Anschluss an BGH NStZ-RR 2020, 207).
Normenkette
StPO § 126a; StGB § 63
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Aktenzeichen II-4 KLs 41/22) |
Tenor
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Notwendige Auslagen des Nebenklägers werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Mit Antragsschrift im Sicherungsverfahren vom 27.09.2022 legt die Staatsanwaltschaft Arnsberg dem Beschuldigten zu Last, im Zustand der Schuldunfähigkeit eine Sachbeschädigung, eine Bedrohung, in zwei Fällen tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung, eine Beleidigung, einen Diebstahl und eine weitere vorsätzliche Körperverletzung begangen zu haben. Im Zeitraum vom 25.12.2021 bis 27.01.2022 soll der an einer paranoiden Schizophrenie leidende Beschuldigte im Einzelnen folgende Straftaten begangen haben:
1) und 2):
Am 25.12.2021 soll der in einer Flüchtlingsunterkunft in C wohnende Beschuldigte zunächst einen Stein in das Fenster eines Nachbarzimmers geworfen und später seinen Zimmernachbarn mit einem Messer bedroht haben.
3)
In der Nacht vom 04.01.2022 soll der Beschuldigte im Eingangsbereich einer Moschee in A randaliert haben. Bei der sodann folgenden Ingewahrsamnahme soll er in Richtung einer Polizeibeamtin getreten und in Richtung der übrigen Polizeibeamten gespuckt haben. Beim Transport zur Polizeiwache soll er erneut in Richtung eines Polizeibeamten gespuckt und dessen Familie mit dem Tode bedroht haben.
4)
An einem nicht näher bezeichneten Tag soll der Beschuldigte bei seiner Fixierung in der B-Klinik einen Mitarbeiter ins Gesicht gespuckt haben.
5)
Am 15.01.2022 soll der Beschuldigte in C einen Ladendiebstahl begangen haben und bei seiner Festnahme verbal aggressiv gewesen sein.
6)
Am 25.01.2022 soll der Beschuldigte die Polizei angerufen haben, da er die Absicht hatte jemanden zu töten. Beim Eintreffen der Polizeibeamten soll er gegenüber dem Nebenkläger geäußert haben, dass er diesen umbringen werde. Ferner habe er den Nebenkläger mit der linken Faust auf die Lippe geschlagen, wodurch dieser eine Schwellung und Kopfschmerzen im Hinterkopfbereich erlitten habe.
7)
Am 27.01.0222 soll der Beschuldigte den Oberarzt D in der B-Klinik unvermittelt mit der Faust vier Mal ins Gesicht geschlagen habe, wodurch dieser eine Schwellung und Schmerzen unterhalb des Auges erlitten habe.
Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, das Sicherungsverfahren vor der großen Strafkammer des Landgerichts Arnsberg durchzuführen und die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen. Zugleich hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten gem. § 126a StPO anzuordnen.
Mit Beschluss vom 30.12.2022 hat das Landgericht Arnsberg den Antrag auf einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt zurückgewiesen. Es seien keine dringenden Gründe für die Annahme ersichtlich, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfenen Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen habe. Der Sachverständige E sei in seinem Gutachten nicht zu einer eindeutigen Diagnose gekommen. Der Beschuldigte könne an einer paranoiden Schizpophrenie, einer drogeninduzierten schizophreniformen psychotischen Störung, einer organisch wahnhaften (schizophreniformen) Störung oder einer dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung leiden. Die uneindeutige Diagnose sei vor allem vor dem Hintergrund problematisch, dass nach den weiteren Ausführungen des Sachver...