Entscheidungsstichwort (Thema)
Betroffener. Belehrung. Verwertbarkeit. Beweisverwertungsverbot. Fernwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein kraftfahrzeugführender Betroffener, bei dem im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle angesichts des Antreffens im grenznahen Gebiet zu den Niederlanden und aufgrund stark erweiterter Pupillen ohne Reaktion und starkem Lidflattern der Anfangsverdacht für eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG besteht, ohne vorangegangene Belehrung zunächst befragt wird "ob er etwas genommen habe", so verstößt dies gegen §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.
2. Ob über die Unverwertbarkeit der Angaben des nicht ordnungsgemäß belehrten Betroffenen hinaus ein Beweisverwertungsverbot Fernwirkung bzgl. anderer Beweismittel (hier insbesondere: Ergebnis der Blutprobe, der sich der Betroffene "freiwillig" unterzogen hat) ist umstritten. Selbst, wenn man eine solche Fernwirkung - noch dazu im Ordnungswidrigkeitenrecht - bejahen wollte, so lässt sich eine allgemeingültige Regel, wann ein Beweisverwertungsverbot über das unmittelbar gewonnene Beweisergebnis hinausreicht und wo seine Grenzen zu ziehen sind, nicht aufstellen. Die Grenzen richten sich nicht nur nach der Sachlage und Art und Schwere des Verstoßes, sondern auch nach der Kausalität der unzulässig erlangten Erkenntnisse für die weiteren Ermittlungen und die schließliche Überführung des Betroffenen.
Normenkette
StPO § 136 Abs. 1 S. 2, § 163a
Verfahrensgang
AG Höxter (Entscheidung vom 14.10.2019; Aktenzeichen 11 OWi 304/19) |
Tenor
Dem Betroffenen wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Kreises Höxter vom 14.10.2019 als unzulässig verworfen, weil der Einspruch nicht formgerecht gestellt worden sei.
Nach der Urteilsverkündung wurde dem Betroffenen eine Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt. Mit Schreiben vom 12.01.2020, eingegangen am 15.01.2020 bat der Betroffene um einen neuen Verhandlungstermin, weil er das Urteil nicht anerkenne. Das Urteil nebst "RMBl" ist dem Betroffenen am 11.01.2020 zugestellt worden.
In einem Vermerk der Richterin vom 22.01.2020 ist niedergelegt, dass bei "erneuter rechtlicher Prüfung" aufgefallen sei, dass das statthafte Rechtsmittel gegen das Verwerfungsurteil die sofortige Beschwerde sei, was dem Betroffenen so mitgeteilt werden solle.
Daraufhin ist auf Verfügung der Richterin dem Betroffenen eine Urteilsausfertigung mit einem Anschreiben und Hinweis auf die "korrekte Rechtsmittelbelehrung" bzgl. einer sofortigen Beschwerde erneut am 23.01.2020 zugestellt worden.
Mit Verfügung vom 05.03.2020 hat die Richterin die Übersendung der Akten bzgl. des "Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde" an das Oberlandesgericht verfügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde in Ermangelung einer Rechtsbeschwerdebegründung als unzulässig zu verwerfen.
II.
Dem Betroffenen ist gem. §§ 46 Ab. 1 OWiG, 45 Abs. 1 S. 3, 44 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.
Da der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid hier durch Urteil und nicht durch Beschluss) verworfen worden ist, ist das statthafte Rechtsmittel die Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 OWiG) ohne Rücksicht auf die Höhe der Geldbuße oder etwaiger Nebenfolgen ist (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 79 Rdn. 11).
Die erteilten Rechtsmittelbelehrungen war dementsprechend falsch. Der Senat hat bei dem oben dargelegten Verfahrensverlauf auch keinen Anlass zu der Annahme, dass etwa die Rechtsmittelbelehrung bei der ersten Urteilszustellung richtig gewesen sein könnte.
Da eine unrichtige Belehrung einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung gleich steht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 44 Rdn. 23) und es auf der Hand liegt, dass der Betroffene nur deswegen keine weitere Rechtsmittelbegründung abgegeben hat, weil er nicht zutreffend hierüber belehrt worden ist, war der Betroffene unverschuldet gehindert, die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist zu wahren.
III.
Der Betroffene wird nunmehr wie folgt belehrt (§§ 344, 345 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG):
Die Begründung des gegen das Urteil des Amtsgerichts Höxter vom 09.01.2020 eingelegten Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist spätestens binnen eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses anzubringen. Die Begründung des Betroffenen kann nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts, dessen Urteil angefochten wird (hier also des Amtsgerichts Höxter), geschehen.
Aus der Begründung muss hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Erst...