Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Folgen eines in Rubrum und Tenor unvollständigen Originalurteils.
2. Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft.
3. a) Wird ein Beschuldigter zunächst nicht nach § 136 StPO belehrt, so sind seine daraufhin gemachten Angaben unverwertbar, wenn der Angeklagte der Verwertung in der Hauptverhandlung widerspricht.
b) Wird der Beschuldigte bei der folgenden Beschuldigtenvernehmung nach der Regelung des § 136 StPO, nicht aber "qualifiziert" (d.h. über die Unverwertbarkeit seiner bisher gemachten Aussagen) belehrt, so folgt daraus nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der nachfolgend gemachten Aussage. In solchen Fällen ist die Verwertbarkeit vielmehr durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln.
c) Bei der Abwägung ist das staatliche Strafverfolgungsinteresse und der Umstand, dass ein Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung nicht gleich schwer wiegt, wie ein Verstoß gegen § 136 StPO ebenso zu berücksichtigen, wie auch das Vorliegen weiterer Umstände, wie insbesondere intellektuelle Defizite des Beschuldigten, Täuschung oder Zwang, Fehlinformation des Beschuldigten über die Verwertbarkeit früherer Angaben, Gewicht des vorangegangenen Verfahrensfehlers (z.B. Belehrung des Beschuldigten als Zeuge) situativer Druck (Verfahrenssituation), nur noch jetzt durch eine selbstbelastende Aussage Schlimmeres verhindern zu können etc.
4. Wird durch eine mehrfach notwendige Urteilszustellung die Revisionsbegründungsfrist erneut in Lauf gesetzt, so kann das Revisionsgericht eine bis dahin eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nur bei Erhebung einer entsprechenden Verfahrensrüge berücksichtigen.
5. Eine Beschlussverwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO ist auch dann möglich, wenn die Staatsanwaltschaft einen Verwerfungsantrag mit der Maßgabe gestellt hat, einen Teil der verhängten Strafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt zu erklären, und das Revisionsgericht die Revision ohne diese Maßgabe insgesamt verwirft.
Verfahrensgang
AG Bielefeld (Aktenzeichen 39 Cs 428/06) |
Tenor
Die Revision wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtgeldstrafe von 65 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Straßenverkehrsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis auszustellen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts führte der 1984 geborene Angeklagte, der beruflich als Heizungs- und Lüftungsbauer tätig ist , am 22.01.2006 um 7:05 Uhr in C2 in "alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand" einen PKW und verursachte infolge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit einen Verkehrsunfall mit einem Fremdschaden von rund 17.000 Euro. Danach verließ er mit seinem Fahrzeug und nunmehr im Bewusstsein seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit die Unfallstelle zunächst - ohne die Feststellung seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen -, obwohl er den Unfall bemerkt hatte. Dann kehrte er wieder zurück, stellte den Wagen ab und verließ die Unfallstelle erneut ohne die Feststellung seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision. Er erhebt eine Verfahrensrüge und rügt die Verletzung materiellen Rechts in allgemeiner Form.
II.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1.
Der Umstand, dass es hinsichtlich Rubrum und Tenor im schriftlichen Urteil lediglich heißt:
"39 Cs 63 Js 321/06 - 428/06
Urteil T
Tenor
Einfügen wie zu Protokoll vom 19.07.2007"
nimmt der angefochtenen Entscheidung nicht die Urteilsqualität. Es handelt sich lediglich um ein unvollständiges (schriftliches) Urteil. Indes ist durch die Namensbezeichnung noch hinreichend erkennbar, gegen wen sich dieses Urteil richtet. Die maßgebliche Information über den Inhalt der Urteilsformel ergibt sich ohnehin aus ihrer protokollierten Verkündung §§ 268 Abs. 2 S. 1, 273 Abs. 1, 274 StPO, vgl. BGH Urt. v. 11.11.1998 - 5 StR 325/98 - insoweit in BGHSt 44, 251 nicht abgedruckt). Damit kann das Urteil als Vollstreckungsgrundlage dienen.
Eine Ausfertigung des (wie oben dargestellt unvollständigen) Urteils wurde dem Angeklagten inzwischen zugestellt. Damit wurde auch die Revisionsbegründungsfrist - da mit der letzten Zustellung nunmehr Ausfertigung und Originalurteil übereinstimmten - wirksam in Lauf gesetzt (vgl. BGH Urt. v. 11.11.1998 - 5 StR 325/98 - insoweit in BGHSt 44, 251 nicht abgedruckt).
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob Verweise im schriftlichen Urteil rechtlich zulässig sind. Dass sie in § 267 Abs. 1 StPO nur in den Urteilsgründen begrenzt für zulässig erklärt werden, könnte dafür sprechen, sie außerhalb derselben zuzulassen. Indes wird ein Verstoß gegen § 275 oder 267 StPO von der Revisio...