Leitsatz (amtlich)

Die Befangenheit eines Richters kann ausnahmsweise davon anzunehmen sein, wenn schwere Verfahrensverstöße vorliegen. Entfernt sich der Richter bei der Gestaltung des Verfahrens von anerkannten verfassungsrechtlichen Grundsätzen, so kann dies den Eindruck einer willkürlichen oder sachfremden Einstellung des Richters erwecken.

 

Normenkette

FamFG § 6; ZPO § 43

 

Verfahrensgang

AG Beckum (Beschluss vom 09.04.2013; Aktenzeichen 6 F 43/12)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Beckum vom 9.4.2013 (6 F 43/12) abgeändert. Das Ablehnungsgesuch des Antragsgegners gegen den Richter am AG N wird für begründet erklärt.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.859,56 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG Beckum von 9.4.2013 ist statthaft (§ 6 Abs. 2 FamFG) sowie form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Auffassung des AG Beckum im Beschluss vom 9.4.2012 ist die Besorgnis der Befangenheit des Antragsgegners gegenüber dem Richter am AG N begründet.

1. Das Ablehnungsgesuch des Antragsgegners vom 5.3.2013 ist zulässig.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 43 ZPO i.V.m. § § 6 Abs. 1 FamFG. Zwar tritt grundsätzlich gem. § 43 ZPO ein Verlust des Ablehnungsrechtes ein, wenn sich die Partei in Kenntnis des Ablehnungsgrundes im selben Prozess in eine Verhandlung eingelassen hat. Vorliegend hat sich der Antragsgegner im ersten Termin vom 24.5.2012 (Bl. 44 GA) auf die Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt. Die Ablehnungsgründe, auf die sich der Antragsgegner stützt, sind allerdings erst nach diesem Termin zutage getreten, waren ihm zur Zeit der Verhandlung mithin noch nicht bekannt i.S.v. § 43 ZPO.

2. Der Befangenheitsantrag ist begründet.

Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 6 FamFG). Es kommt nicht darauf an, ob das Misstrauen des jeweiligen Beteiligten tatsächlich gerechtfertigt ist. Entscheidend ist allein, dass aus seiner Sicht - hier des Antragsgegners - ein sachlicher Anlass für ein Misstrauen gegenüber dem abgelehnten Richter besteht. Hierbei ist nicht auf eine möglicherweise lediglich subjektive Sichtweise des Beteiligten abzustellen, sondern auf die Perspektive des Ablehnenden "bei vernünftiger Betrachtung" (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.5.2006 - 15 W 14/06, OLGR 2007, 958; Vollkommer, in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 42 Rz. 9).

Bei vernünftiger Betrachtung erscheinen die Bedenken des Antragsgegners vorliegend gerechtfertigt.

Nach allgemeiner Auffassung kann die Richterablehnung zwar grundsätzlich nicht auf die Verfahrensweise oder die Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden. Ob eine richterliche Entscheidung inhaltlich "falsch" war, ist für das Ablehnungsverfahren vom Grundsatz her ohne Belang (vgl. allgemein etwa BayObLGZ 86, 253; 87, 217). Die Befangenheitsablehnung stellt kein Instrument zur Fehler- und Verfahrenskontrolle dar. Denn im Ablehnungsverfahren geht es allein um die Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein dem Rechtsmittelgericht vorbehalten ist.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist indessen dann geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen - insbesondere verfassungsrechtlichen - Grundsätzen entfernen, dass sie aus der Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken (vgl. KG, Beschl. v. 22.11.2012 - 10 W 67/12 - Magazindienst 2013, 107; Beschl. v. 8.6.2006 - 5 W 31/06, NJW-RR 2006, 1577). Insofern kann sich ein Ablehnungsgrund auch aus einer Gesamtschau des Verhaltens des abgelehnten Richters aus der Perspektive des ablehnenden Beteiligten ergeben, insbesondere, wenn der Eindruck entstanden ist, das Gericht nehme wesentliche Einwendungen des Beteiligten nicht oder nicht ausreichend zur Kenntnis (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.5.2006 - 15 W 14/06, OLGR 2007, 958; OLG Hamm, Beschl. v. 31.5.1977 - 1 W 6/77, VersR 1978, 646; Vollkommer, in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 42 Rz. 24).

So liegt es hier:

a) Aus dem Teilbeschluss des AG vom 14.6.2012 (Bl. 50 GA) - betreffend die Auskunftsstufe des von der Antragstellerin gestellten Stufenantrags - wird nicht ersichtlich, dass sich der Richter mit den wesentlichen und für den Rechtsstreit relevanten Einwendungen des Antragsgegners auch nur ansatzweise auseinandergesetzt hätte. So finden sich in der - lediglich 6 Zeilen langen - Begründung der Entscheidung in der Sache beispielsweise keinerlei Ausführungen zu der sich - aus der Sicht des Senates nicht zuletzt aufgrund der Bezugnahme der Antragstellerin auf das Sorgerecht ...

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