Leitsatz (amtlich)
1.
Der Inhalt von familiengerichtlichen Akten betr. die Entziehung der elterlichen Sorge unterliegt strengster Geheimhaltung und ist grundsätzlich nicht zur Kenntnisnahme durch Dritte bestimmt.
2.
Die Bewilligung von Akteneinsicht oder Amtshilfe durch Übersendung der Akten kommt daher grundsätzlich nur für Zwecke in Betracht, die in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Verfahrenszweck, also dem Schutz des Kindes stehen.
3.
Soweit ausnahmsweise Akteneinsicht/Amtshilfe für verfahrensfremde Zwecke begehrt wird, muss die ersuchende Person oder öffentliche Stelle konkret darlegen, dass die Kenntnisnahme vom Inhalt der Akten zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter zwingend erforderlich ist.
Verfahrensgang
AG Recklinghausen (Aktenzeichen 43 F 158/07) |
AG Herne-Wanne (Aktenzeichen 3 F 175/08) |
AG Herne (Aktenzeichen 16 F 26/03) |
Tenor
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Justizverwaltungsstreitverfahren wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Gegenstandswert für das Verfahren beträgt 6.000 EUR.
Gründe
I.)
Der Beteiligte zu 1) ist vor der 1. großen auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum in Recklinghausen wegen eines Verbrechens nach § 177 Abs.1 Nr.1 StGB angeklagt. In der Hauptverhandlung hat der Beteiligte zu 1) durch seinen Verteidiger beantragt, zum Beweis dafür, dass die Zeugin I2 seit Jahren Drogen konsumiere, verantwortungslos mit sich und ihren Mitmenschen, sogar ihren nächsten Angehörigen, umgehe und in dem, was sie sagt, unzuverlässig sei,
die Jugendamtsakten der Stadt I, der Stadt S sowie die Akten der Amtsgerichte Herne-Wanne und Recklinghausen beizuziehen, soweit sie die Zeugin I2 betreffen.
Weiter wurde beantragt,
die beizuziehenden Akten der Verteidigung zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen.
Die Strafkammer beschloss u.a. die familiengerichtlichen Akten der Amtsgerichte Recklinghausen, Herne und Herne-Wanne beizuziehen. Auf die Anforderung der Kammer hin wurden dieser zumindest ein Teil der familiengerichtlichen Akten übersandt. Nach Eingang dieser Akten wandte sich die Strafkammer erneut an die genannten Amtsgerichte und bat um Entscheidung darüber,
ob die Kammer Akteneinsicht erhalten dürfe,ob die Verfahrensbeteiligten die Akten ausgehändigt bekommen dürften undob die Inhalte öffentlich erörtert werden dürften.
Die Beteiligte zu 2) lehnte mit Bescheid vom 09.07.2008 die Übersendung der Akten ab. Der Beteiligte zu 3) lehnte durch Bescheid vom 22.07.2008 eine Akteneinsicht durch den Verteidiger, nicht jedoch eine solche durch die Kammer ab. Der Beteiligte zu 4) lehnte durch Bescheid vom 16.07.2008 das Gesuch auf Übersendung, Akteneinsicht und Erörterung des Akteninhalts in öffentlicher Verhandlung ab. Die Strafkammer hob daraufhin ihren Beschluss über die Beiziehung der Akten mit der Begründung auf, die Akten seien für die Kammer unerreichbar.
Im nächsten Hauptverhandlungstermin beantragte der Verteidiger u.a. die Zeugin I2 erneut zu laden und sie zu ihrem Einverständnis hinsichtlich einer Verwertung der amtsgerichtlichen Akten zu vernehmen. In der Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Angeklagte sich mit einem weitgehenden Schutz des Geheimhaltungsinteresses der Beteiligten, so etwa dem Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Erörterung des Akteninhalts, einverstanden erklärt habe, weshalb die Bescheide der Behördenleiter von falschen Voraussetzungen ausgingen. Abschriften dieses Antrags nebst Begründung leitete die Strafkammer den Beteiligten zu 2) bis 4) zur. Diese haben ihre bisherige Haltung jeweils durch Bescheid vom 08.08.2008 bestätigt.
Durch Schriftsatz seines Verteidiger vom 03.09.2008 hat der Beteiligte zu 1) bei dem Oberlandesgericht beantragt,
die zuletzt genannten Bescheide der Beteiligten zu 2) bis 4) aufzuheben und sie zu verpflichten, die Akten, welche die Zeugin I2 betreffen, an die Strafkammer zu dem gegen ihn geführten Strafverfahren herauszugeben.
II.)
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 23 EGGVG statthaft und auch sonst zulässig.
Nicht unproblematisch erscheint dabei allerdings die Antragsbefugnis des Beteiligten zu 1). Nach § 24 Abs.1 EGGVG ist nur derjenige antragsbefugt, der schlüssig geltend machen kann, durch das Unterlassen einer positiven Entscheidung in seinen Rechten verletzt zu sein. Da Justizverwaltungsakte grundsätzlich keine Drittwirkung entfalten (vgl. Kissel/Meyer, GVG, 5.Aufl., § 24 EGGVG § 24 Rdn.4), kann solches grundsätzlich nur angenommen werden, wenn der Antragsteller sein Ansinnen zuvor erfolglos bei der Justizverwaltung geltend gemacht, in der Regel also selbst einen Antrag gestellt hatte. Dies ist hier nicht der Fall, da die Beteiligten zu 2) bis 4) bislang allein über die als Amtshilfeersuchen zu qualifizierenden Anfragen der Strafkammer entschieden haben. Die rechtliche Betroffenheit eines Dritten, der außerhalb dieses Amtshilfeverhältnisses steht, bedarf danach einer besonderen Begründung.
Nach Lage de...