Entscheidungsstichwort (Thema)
Testamentsauslegung im Abgrenzungsbereich zwischen Ersatz- und Nacherbfolge. Auslegungsregeln zum Testament
Leitsatz (amtlich)
Der Wortlaut eines privatschriftlichen Testaments, durch den der Erblasser seinen Sohn zum Miterben und für den Fall, dass die Ehe seines Sohnes kinderlos bleibt und seines "Vorablebens" dessen Ehefrau zur Vorerbin und die Kinder der als weitere Miterbin eingesetzten Tochter zu Nacherben beruft, spricht für eine Auslegung, dass es sich nicht lediglich um eine Ersatzerbfolge für den Fall des Vorversterbens des Sohnes, sondern um eine gewollte Vor- und Nacherbeinsetzung für den Fall seiner Kinderlosigkeit handeln soll.
Normenkette
BGB §§ 2084, 2102
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Beschluss vom 08.03.2007; Aktenzeichen 23 T 132/07) |
AG Minden (Aktenzeichen 7 VI 313/68) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Der Geschäftswert wird auf 100.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Erblasser L S war mit D S, geborene C, die am 7.6.1961 verstorben ist, verheiratet. Er hatte fünf Kinder, und zwar H (verheiratete B), F (verheiratete T), H, I und K. K war verheiratet mit J (geborene G). Die Beteiligten zu 1) bis 4) sind die Kinder der Tochte E.
Am 15.8.1965 errichtete der Erblasser ein handschriftliches Testament, in dem es auszugsweise heißt:
Ich, Kaufmann L S, geboren am 12.3.1899, wohnhaft N, K-straße 9, berufe hiermit zu Erben meines Grundbesitzes N K-straße 9, eingetragen im Grundbuch von N Band 149 Blatt ... - Einheitswert am 21.6.1948 DM 14.9001) meinen Sohn S, N Ersatzerben sind die Abkömmlinge des Berufenen und 2) meine Tochter G B geborene S, verwitwete Hausfrau, wohnhaft N, K-straße 9 Ersatzerben sind die Abkömmlinge der Berufenen mit gleichen Pflichten und Rechten je zur Hälfte.
Sollte die Ehe meines Sohnes zu 1) kinderlos bleiben, so berufe ich für den Fall seines Vorablebens als Vorerbin seine Ehefrau und als Nacherbin auf den Tod der Vorerbin meine Tochter E T geborene S, zur Zeit wohnhaft C, G-Straße, und als Ersatzerben deren Abkömmlinge.
Zu Lasten meiner Erben zu 1) und 2) sind spätestens sechs Monate nach meinem Tode in bar zu zahlen:
a) an meine Tochter E T geborene S 10.000 DM (zehntausend DM)
b) an meinen Sohn G S, Werbefachmann 7.500 DM (siebentausendfünfhundert DM)
c) an meinen Sohn I S, z. Zt. Student 7.500 DM (siebentausendfünfhundert DM)...
Mein Sohn K zu 1) und meine Tochter G zu 2) haben mir ein Darlehen zur Instandsetzung bzw. Verbesserung des Grundstücks im Betrage von je 15.000 DM (fünfzehntausend) gegeben, welche für Einbau von Heizungen, Badezimmer, neuen Fenstern, Dachreparatur und ähnliches im Grundstück investiert ist. Durch diese Testamentsregelung sind ihre Forderungen an mich abgegolten ...
Der Erblasser ist sechs Tage nach Errichtung des Testaments am 21.8.1965 im Alter von 66 Jahren verstorben.
Aufgrund des Testamentes des Erblassers beantragte der Sohn K am 22.6.1968 einen Erbschein mit dem Inhalt zu erteilen, dass der Erblasser von ihm und seiner Schwester G zu je ½ beerbt worden ist.
Das AG erteilte am 21.8.1968 den Erschein wie beantragt.
Die Ehe von K und seiner Ehefrau J blieb kinderlos. Mit Testament vom 8.7.1968 setzten sich beide Eheleute gegenseitig zu uneingeschränkten Alleinerben ein. K (geb. 17.12.1923) verstarb am 5.1.1969, seine Ehefrau J am 3.5.2005.
Am 12.10.2006 beantragte der Beteiligte zu 1) die Einziehung des Erbscheins wegen Unrichtigkeit. Zur Begründung machte er geltend, das Testament vom 15.8.1965 sei dahingehend auszulegen, dass seine Mutter, E T, als Nacherbin seines Onkels K und dessen Ehefrau J bestimmt worden sei und er sowie seine Geschwister, die Beteiligten zu 2) bis 4), als Ersatzerben seiner Mutter. Die Worte "für den Fall seines Vorablebens" in dem Testament des Erblassers bezögen sich nicht auf den Fall des Versterbens von K vor dem Erblasser, sondern auf den Fall des Versterbens des Sohnes K vor dessen Ehefrau J. Der Erblasser habe mit seinem Testament auch den Zweck verfolgt, die Schwiegertochter J abzusichern, das Haus aber in der Familie zu halten. Die Beteiligte zu 2) hat ergänzend ausgeführt, die Geschwister sowie Neffen und Nichten des Erblassers hätten in den vergangenen Jahrzehnten das Testament ihres Großvaters stets so verstanden, wie es der Beteiligte zu 1) vorgetragen hat.
Mit Beschluss vom 27.11.2006 hat das AG den Antrag auf Einziehung des Erbscheins zurückgewiesen. Die Beteiligten zu 1) bis 4) haben gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, die das LG mit Beschluss vom 8.3.2007 zurückgewiesen hat.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Bschwerde der Beteiligten.
II. Die an keine Frist gebundene weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft und in der rechten Form eingelegt worden. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten folgt aus der Zurückweisung der Erstbeschwerde.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das LG von einer zulässigen Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1) bis 4) ausgegangen...