Leitsatz (amtlich)
Die Erteilung eines rechtlichen Hinweises ist nach Art. 103 Abs. 1 GG geboten, wenn sie der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen dient. Eine solchermaßen verbotene Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis zu seiner Entscheidung nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Verfahren eine Wende gegeben hat, mit welcher der davon betroffene Verfahrensbeteiligte nach dem bis zu diesem Zeitpunkt gegebenen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte, wobei es auf eine Überraschungsabsicht des Gerichts nicht ankommt.
Verfahrensgang
AG Unna (Entscheidung vom 31.07.2015) |
Tenor
Auf den Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Unna vom 31.07.2015 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 09.08.2016 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin (§ 80 a Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie der Betroffenen und ihres Verteidigers beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird bezüglich des mit dem Rechtsmittel angegriffenen Rechtsfolgenausspruches des Urteils des Amtsgerichts Unna vom 31.07.2015 zugelassen.
Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde wird die gegen die Betroffene in dem Urteil des Amtsgerichts Unna vom 31.07.2015 verhängte Geldbuße auf 65 € herabgesetzt.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die der Betroffenen in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
I.
Gegen die Betroffene wurde mit dem zugrunde liegenden Bußgeldbescheid wegen Abbiegens, ohne ein entgegenkommendes Fahrzeug durchfahren zu lassen, wobei es zu einem Unfall gekommen ist, ein Bußgeld i.H.v. 85 € verhängt.
Das Amtsgericht hat die Betroffene mit dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässigen Abbiegens, ohne ein entgegenkommendes Fahrzeug durchfahren zu lassen, wodurch es zu einem Unfall kam, zu einer Geldbuße von 90 € verurteilt.
Nach den Urteilsfeststellungen bog die Betroffene am 26.01.2015 mit dem von ihr geführten Fahrzeug der Marke Volvo V 50, amtliches Kennzeichen ppp. von der Friedrich-Ebert-Straße in Unna kommend nach links in die Untere Husemann Straße ein, und zwar vor dem sich im entgegenkommenden Verkehr, den die Betroffene an dieser Stelle auf einer Strecke von mindestens 70 m ohne Sichthindernis einsehen konnte. nähernden Fahrzeug des Zeugen ppp., der zuvor seine Fahrt etwa 3 m vor der Einmündung in die Untere Husemann Straße vor einem dort befindlichen Fußgängerüberweg wegen einer nur unzureichenden Sicht auf diesen verlangsamt hatte. Da der Zeuge sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig zum Stehen brachte, kam es zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge, durch die das Fahrzeug der Betroffenen gegen das Fahrzeug des Zeugen gedrückt wurde. Durch die Kollision entstand an allen beteiligten Fahrzeugen Sachschaden.
Der Anstoß des Fahrzeugs des Zeugen erfolgt im hinteren Bereich des PKW der Betroffenen hinter dem Hinterrad und der Tankklappe.
Nach den weiteren Feststellungen hätte die Betroffene den Zusammenstoß bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen und kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Zeuge pp. bei einer besseren Reaktion die Kollision hätte vermeiden können.
Im Rahmen der Begründung des Rechtsfolgenausspruches wird ausgeführt, dass der bundeseinheitliche Tatbestandskatalog für eine Ordnungswidrigkeit, wie sie die Betroffene begangen habe, unter Nr. 109601 eine Regelgeldbuße i.H. v. 85 € vorsehe, aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sei aber bei Urteilserlass versehentlich die Regelgeldbuße des Tatbestands Nr. 109607 (120 €) zugrunde gelegt worden. Zu Gunsten der Betroffenen sei berücksichtigt worden, dass nicht sicher ausgeschlossen werden könne, dass der Zeuge den Unfall möglicherweise durch eine bessere Reaktion hätte vermeiden können. Aus diesem Grund sei die zu Grunde gelegte Regelgeldbuße um 25 % von 120 auf 90 € reduziert worden. Richtigerweise hätte ein Bußgeld in Höhe von 65 € verhängt werden müssen.
Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist ersichtlich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden, da sich die Betroffene mit sämtlichen von ihr erhobenen Rügen, der Sachrüge, der Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht wegen einer unzulänglichen Urteilsbegründung und der erhobenen Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nur gegen die Höhe des verhängten Bußgelds mit der Begründung wendet, der Amtsrichter habe in der Hauptverhandlung vor Beendigung der Beweisaufnahme ausgeführt, dass ein Verschulden der Betroffenen beim Linksabbiegen nicht entfalle, in Bezug auf den
Unfallgegner allerdings ein Mitverschulden i.H.v. 25 % anzunehmen sei. Bei einer sachlich richtigen Entscheidung wäre die tatsächlich zu Grunde zu legende Regelgeldbuße von 85 € um einen Bet...