Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei bewusstem Verstreichenlassen der Frist und Irrtum über Rechtsfolgen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Frist im Sinne des § 44 StPO versäumt derjenige, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat. Demgegenüber ist jemand, der von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, nicht nach Satz 1 der Vorschrift an dessen Einlegung "verhindert". Dies gilt auch dann, wenn ein Angeklagter - auch nach Beratung durch seinen Verteidiger - die Rechtsfolgen der (zunächst) nicht angegriffenen Entscheidung (hier: Eintragung von Punkten in das Verkehrszentralregister) oder die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels möglicherweise falsch einschätzt.
2. § 44 StPO stellt ausschließlich auf unverschuldete Hindernisse bei der Einhaltung einer Frist ab. Als ein solches Hindernis kommt die unverschuldete Unkenntnis von Umständen nur insoweit in Betracht, als letztere für den Beginn und Lauf einer einzuhaltenden Frist maßgeblich sind. Demgegenüber stellt eine unverschuldete Unkenntnis von Umständen, die lediglich den Beweggrund zur Wahrung einer Frist beeinflussen können (wie hier die falsche Einschätzung sämtlicher Folgen des Urteils), kein solches Hindernis dar. Die irrige Beurteilung der Folgen eines zunächst nicht angegriffenen Urteils derart, dass außer der verhängten (Gesamt-)Geldstrafe keine weiteren Konsequenzen eintreten würden, beeinflusste lediglich die Willensbildung dahin, nicht gegen das Urteil vorzugehen, also letztlich die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels nicht auszunutzen.
Normenkette
StPO §§ 46, 44
Verfahrensgang
AG Dorsten (Entscheidung vom 16.07.2013; Aktenzeichen 23 Ds 34/12) |
Tenor
- Der Wiedereinsetzungsantrag wird als unzulässig auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
- Die Revision wird gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
Gründe
I.
Durch Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 16. Juli 2013 wurde der geständige Angeklagte “wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort„ zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 100,- € verurteilt. Von der Verhängung einer Maßregel gemäß §§ 69, 69 a StGB sah das Amtsgericht aufgrund des langen Zeitablaufs seit der Tat vom 17. Juli 2011 ab. Nach Rechtsmittelbelehrung erklärten der Angeklagte und sein damaliger Verteidiger Rechtsmittelverzicht.
Durch Schriftsatz seiner (zwischenzeitlich neu mandatierten) Verteidigerin vom 23. Dezember 2013 hat der Angeklagte nunmehr (Sprung-)Revision gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt, diese - unter Vorlage u.a. einer eigenhändig unterschriebenen eidesstattlichen Versicherung vom 20. Dezember 2013 - mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist beantragt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der im Hauptverhandlungstermin am 16. Juli 2014 erklärte Rechtsmittelverzicht sei gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO wegen einer vorangegangenen (informellen) Verständigung, die unter Verstoß gegen § 257c StPO zustande gekommen sei, unwirksam. Der Angeklagte sei zudem davon ausgegangen, dass zu der ausgeurteilten (Gesamt-)Geldstrafe keine weiteren Folgen hinzukommen würden. Insbesondere sei er über die straßenverkehrsrechtliche Folge in Form der Verhängung von Punkten im Verkehrszentralregister infolge des amtsgerichtlichen Urteils von anwaltlicher Seite nicht aufgeklärt worden. Davon habe er erst später durch eine entsprechende Mitteilung der Straßenverkehrsbehörde erfahren. Wenn er diese Folge gekannt hätte, hätte er sich weder geständig gezeigt noch sich auf die (von der Revision behauptete) Absprache mit dem Gericht eingelassen. Er sei angesichts des erklärten Rechtsmittelverzichts davon ausgegangen, gegen das Urteil kein Rechtsmittel einlegen zu können, und habe erst am 23. Dezember 2013 von seiner neuen Verteidigerin von den bestehenden und nunmehr ausgeschöpften Rechtsmittelmöglichkeiten erfahren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Revisionsrechtfertigung sowie die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags - jeweils vom 23. Dezember 2013 - Bezug genommen.
In der eidesstattlichen Versicherung des Angeklagten vom 20. Dezember 2013 heißt es nach Schilderung des Ablaufs des Sitzungstages bzw. des Hauptverhandlungstermins am 16. Juli 2013 insoweit:
“
(…) Ich habe mich insoweit auf die Angaben der Anwälte, dass es keine weiteren Folgen (außer der verhängten Gesamtgeldstrafe - Anm. des Senats) geben würde, verlassen, und habe das Urteil angenommen und auf Rechtsmittel verzichtet.
In der Zeit nach dem Urteil habe ich auch die Geldstrafe bezahlt. Ich dachte auch, dass man nun gegen das Urteil nichts mehr machen kann.
Dann erhielt ich die Mitteilung, dass die Straßenverkehrsbehörde aufgrund des Urteils 14 Punkte ins Verkehrszentralregister eingetragen hat. Wenn ich diese Folge ge...