Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtverteidiger. Vollstreckungsverfahren. Widerruf der Strafaussetzung. Bewährung
Leitsatz (amtlich)
Die Bestellung eines Verteidigers für das Vollstreckungsverfahren kann entsprechend § 140 Abs. 2 StPO geboten sein, wenn eingeschränkte deutsche Sprachkenntnisse des Verurteilten mit einer erörterungswürdigen Rechtslage (Widerruf der Strafaussetzung ohne rechtskräftige Verurteilung hinsichtlich der Anlasstat für den Widerruf) zusammentreffen.
Normenkette
StPO § 140 Abs. 2; StGB § 56f
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 08.03.2007; Aktenzeichen 23b StVK 1481/09 Bew) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Verurteilten für das Vollstreckungsverfahren, soweit es die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzungen zur Bewährung gemäß den Anträgen der Staatsanwaltschaft Bochum vom 3. September 2014 und der Staatsanwaltschaft Essen vom 5. September 2014 betrifft, Rechtsanwalt P in H als Verteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten in diesem Verfahren erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
1.
Das Amtsgericht Recklinghausen verurteilte den Beschwerdeführer am 13. Juni 2006 unter Einbeziehung einer anderen Strafe wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in zwei Fällen und wegen Computerbetruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie darüber hinaus unter Einbeziehung einer weiteren Strafe wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und Computerbetruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Das Landgericht Bochum - auswärtige Strafkammer Recklinghausen - fasste mit Urteil vom 8. März 2007 den Straffolgenausspruch dahin neu, dass der Beschwerdeführer wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in drei Fällen und wegen Computerbetruges in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde. Das Landgericht Bielefeld setzte mit Beschluss vom 18. Juni 2009 die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung aus.
Das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer verurteilte den Beschwerdeführer am 27. Juli 2011 wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer "Gesamtfreiheitsstrafe" von vier Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus.
Nachdem das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer den Beschwerdeführer aufgrund seines Geständnisses am 8. Mai 2014 - nicht rechtskräftig - wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung und wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt hatte, haben die Staatsanwaltschaft Bochum und die Staatsanwaltschaft Essen beantragt, die Strafaussetzungen zu widerrufen. Zu den Widerrufsanträgen hat das Landgericht Bielefeld den Verurteilten schriftlich angehört. Er hat am 25. September 2014 durch seinen Verteidiger beantragt, ihm diesen als Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach Würdigung des Senats erscheint die Bestellung eines Verteidigers für die vorliegenden Vollstreckungsverfahren angesichts besonderer Umstände entsprechend § 140 Abs. 2 StPO geboten. Dies folgt insbesondere aus dem Zusammentreffen von eingeschränkten deutschen Sprachkenntnissen des Verurteilten und einer erörterungswürdigen Rechtslage.
a)
Der Beschwerdeführer stammt - ausweislich eines Urteils des Landgerichts Essen vom 16. September 2014 - aus dem Kosovo und besuchte dort lediglich eine Grundschulklasse. Im Jahr 1992 kam er nach Deutschland, wo er zeitweise als Hausmeister, als Bauarbeiter und (während einer Inhaftierung) in der Küche arbeitete. Zwar spricht sein inzwischen langjähriger Aufenthalt in Deutschland für gewisse mündliche Kenntnisse der deutschen Sprache. Beispielsweise wurde ihm am 23. Juli 2007 ein Haftbefehl ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers verkündet; in diesem Rahmen äußerte er sich selbst. Allerdings wecken die äußerst kurze Schulbildung sowie der weitere Lebenslauf Bedenken daran, dass der Verurteilte auf Deutsch hinreichend schriftlich korrespondieren kann. Soweit sich von ihm unterzeichnete Schreiben in den vorliegen Akten befinden, etwa vom 8. September 2005 zu einem Antrag auf einen Pflichtverteidigerwechsel und vom 29. Dezember 2005 zu einer begehrten Verfahrenseinstellung gemäß "Paragraf 154", weisen diese evident unterschiedliche Handschriften auf, so dass von einer persönlichen Abfassung durch den Verurteilten nicht auszugehen ist.
b)
Die Strafvollstreckungskammer erwägt einen Widerruf der Strafaussetzungen wegen neuer Straftaten, ohne dass diese bereits rechtskräftig festgestellt sind. Das Landgericht Essen hat mit dem Urteil vom 16. September 2014 das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 8. Mai 2014 aufgehoben, den Beschwerdeführer wegen versuchten Wohnungse...