Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschwindigkeitsverstoß. ProViDa 2000 Modular. Nachfahren. manuelle Auswertung. Toleranzwert
Leitsatz (amtlich)
Zum Toleranzwert bei Ermittlung der Geschwindigkeit mittels Nachfahrens mit einem Motorrad unter Verwendung der Anlage ProViDa 2000 Modular und unter manueller Berechnung der Geschwindigkeit anhand des aufgenommenen Messfilms.
Normenkette
StPO § 267; StVO § 49 Abs. 1 Nr. 3, § 3
Verfahrensgang
AG Paderborn (Entscheidung vom 05.12.2019; Aktenzeichen 77 OWi 386/19) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an das Amtsgericht Paderborn zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 250,- Euro unter Einräumung von Ratenzahlung verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der sog. "Viermonatsfrist" angeordnet. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 07.08.2019 um 8.40 Uhr als Führer eines PKWs in B die B64 außerhalb geschlossener Ortschaften mit einer Geschwindigkeit von 142 km/h und überschritt damit die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h. Die Messung erfolgte durch einen Polizeibeamten mittels Nachfahrens mit einem Motorrad unter Verwendung der Anlage ProViDa 2000 Modular und unter manueller Berechnung der Geschwindigkeit anhand des aufgenommenen Messfilms.
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er eine Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§§ 79 Abs. 3 und 6 OWiG, 349 Abs. 4 StPO).
1.
Das - im Übrigen ausgesprochen sorgfältig abgefasste - angefochtene Urteil weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf. Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. nur: BGH, Beschl. v. 25. 02. 2015 - 4 StR 39/15 -, Rn. 2, juris). Vorliegend ist die Beweiswürdigung in einem Punkt lückenhaft bzw. widersprüchlich.
a) Zur Aufhebung führt für sich genommen noch nicht, dass das Amtsgericht bei der vorliegenden Mess- und Auswertemethode fälschlich von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen ist, denn das Amtsgericht hat die Geschwindigkeitsberechnung im einzelnen gut nachvollziehbar in den Urteilsgründen dargelegt. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen. Es bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, - wie hier geschehen - die Geschwindigkeitsberechnung mittels ProViDa dergestalt vorzunehmen, dass aus dem gefertigten Video nachträglich eine Auswertestrecke festgelegt wird und für diese Strecke dann mittels Bildzähler eine Geschwindigkeitsberechnung anhand des Videos stattfindet (AG Lüdinghausen, Urt. v. 20.04.2015 - 19 OWi - 89 Js 1431/14 - 139/14 - juris; Krumm in: NK-GesVerkR, 2. Aufl., Anh. 3 zu § 3 StVO Rdn. 138).
b) Indes begegnet die Beweiswürdigung des Amtsgerichts zu dem Umstand, dass sich der Abstand zwischen dem verfolgenden Polizeimotorrad und dem Fahrzeug des Betroffenen vergrößerte, durchgreifenden rechtlichen Bedenken in dem o.g. Sinne. Das Amtsgericht bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Lichtbilder Bl. 11 d.A., welche die Einzelbilder vom Anfang und vom Ende der Messung aus dem aufgenommenen Videofilm wiedergeben und aus denen sich ergeben soll, dass die Auswertung der Spurhöhe des Fahrzeugs des Betroffenen am Beginn der Messung, also auf dem ersten Bild, 39 Pixel, am Ende, also auf dem zweiten Bild, nur 36 Pixel betrage (UA S. 4). Aufgrund der zulässigen Inbezugnahme der Bilder gem. §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO durfte und musste sich der Senat Kenntnis von den Bildern verschaffen und sie in seine rechtliche Prüfung einbeziehen. Die Inaugenscheinnahme der Bilder ergab Folgendes: Es findet sich zwar auf diesen eine Einblendung in einem weißen Feld mit dem Inhalt "039 Pixel" bzw. "036 Pixel". Abgesehen davon, dass diese Pixelzahlen anhand der Bilder nicht nachvollzogen werden können, ist - gravierender noch - der Umstand, dass auf diesen Bildern (möglicherweise infolge einer Verschlechterung der Bildqualität gegenüber dem Videofilm durch Ausdruck) ein verfolgtes Fahrzeug auch nicht ansatzweise zu erkennen ist. A...