Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafklageverbrauch. Behinderung von Hilfsleistenden. Fahrverbot (Warnungs- und Besinnungsfunktion)

 

Leitsatz (amtlich)

Einer Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt kein Strafklageverbrauch zu.

Für eine Behinderung von Hilfsleistenden i.S.v. § 115 Abs. 3 StGB genügt bei schweren Verletzungen (hier: stark blutende Kopfverletzung) bereits eine nur kurze Verzögerung der Hilfeleistung (hier: eine Minute).

Der Warnungs- und Besinnungsfunktion des § 44 StGB bedarf es auch noch knapp zwei Jahre nach der Tatbegehung, wenn der Täter sein Fahrzeug in besonders schwerwiegender Weise im Straßenverkehr missbraucht hat.

 

Normenkette

StPO § 153; StGB § 115 Abs. 3, § 44

 

Verfahrensgang

AG Ibbenbüren (Aktenzeichen 65 Ds 115/20)

 

Tenor

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte ist durch das Amtsgericht - Strafrichter - Ibbenbüren am 03. September 2021 wegen Widerstands gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, in Tatmehrheit mit Beleidigung und in Tatmehrheit mit falscher Verdächtigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 65,00 Euro verurteilt worden. Daneben hat der Strafrichter als Nebenstrafe ein viermonatiges Fahrverbot verhängt.

Das Amtsgericht Ibbenbüren hat in der Sache die folgenden Feststellungen getroffen:

"Am 00.09.2019 kam es gegen Mittag zu einem Alleinunfall einer älteren Radfahrerin auf der Z Straße in Höhe der Hausnummer 0. Die Radfahrerin war gestürzt und hatte sich eine stark blutende Kopfverletzung zugezogen. Der Zeuge L, einer der ersten am Unfallort eintreffenden Personen, stellte sofort sein Fahrzeug, einen grauen F01, auf der stadtauswärts gerichtet rechten Fahrbahnseite ab und begab sich zu der verunfallten Frau. Er leistete hier erste Hilfe, indem er unter anderem deren Kopf auf seinem Schoß lagerte. Durch weitere Ersthelfer wurden Polizei und Rettungsdienst verständigt. Die Zeugin M, die in dem Haus direkt neben der Unfallstelle wohnt, bemerkte das Geschehen und nahm Verbandstoffe mit nach draußen, um ebenfalls erste Hilfe zu leisten. Sie ist von Beruf Krankenschwester. Kurze Zeit später trafen die Zeugen N und O, Beamte im Polizeidienst, an der Unfallstelle ein. Diagonal gegenüber von dem Fahrzeug des Ersthelfers, des Zeugen L, stellten sie ihr Polizeifahrzeug auf der stadtauswärts gesehenen linken Fahrbahnseite ab. Zwischen beiden Fahrzeugen war eine hinreichende Lücke, so dass der Verkehr hindurchfließen konnte. Gleichwohl kam es zu kleinen Rückstaus in beiden Fahrtrichtungen. Gegen 12:45 Uhr erreichte der Angeklagte mit seinem Pkw F02, amtliches Kennzeichen FIN01, rote Farbe, die Unfallstelle stadtauswärts fahrend. Auf seiner Fahrbahn fand er das Fahrzeug des Zeugen L vor. Aus der Gegenrichtung näherte sich der Rettungswagen, der von dem Zeugen P geführt wurde und in dem die Zeugin Q Rettungsraum-Beifahrerin war. An dem Rettungswagen waren die Lichtsignale und das Signalhorn eingeschaltet.

Der Angeklagte, den offensichtlich das am Fahrbahnrand abgestellte Fahrzeug des Zeugen L störte, fuhr mit seinem Fahrzeug neben dieses Fahrzeug und hielt an. Hierdurch kam es in allen Richtungen zu einem weiteren Rückstau. Dem nunmehr am Unfallort eintreffenden Rettungswagen war die Zufahrt zum Opfer versperrt.

Der Angeklagte öffnete das Fahrerfenster und beschwerte sich darüber, dass am rechten Fahrbahnrand das Fahrzeug des Zeugen L abgestellt sei. Er äußerte sich sinngemäß dahin, dass es bekloppt sei, das Fahrzeug an dieser Stelle abzustellen. Es soll jemand das Fahrzeug wegfahren. Durch den Zeugen O wurde er gebeten, die Durchfahrt für den Rettungswagen frei zu machen und weiter zu fahren. Gleichwohl beschwerte sich der Angeklagte weiter über die Situation und äußerte sich sinngemäß auch dahin, dass dies typisch für die Rer Polizei sei. Folgend wurde er erneut von dem Zeugen O aufgefordert, seinen Wagen an die Seite zu fahren. Sinngemäß äußerte der Zeuge, "Haben Sie sie noch alle? Fahren Sie weiter". Auch hierauf reagierte der Angeklagte zunächst nicht. Sodann widmete sich die Zeugin N dem Angeklagten, während der Zeuge O sich weiter um die Unfallsituation kümmerte. Sie forderte den Angeklagten ebenfalls auf, endgültig die Fahrbahn frei zu machen. Dem kam der Angeklagte schließlich nach und fuhr langsam an dem Fahrzeug des Zeugen L vorbei und hielt auf der in Fahrtrichtung gesehenen rechten Fahrbahnseite vor dem Fahrzeug des Zeugen L an.

Der Zeuge P hatte zwischenzeitlich wegen des Fahrzeugs des Angeklagten in der Engstelle den Rettungswagen abbremsen und zum Stillstand bringen müssen. Das Martinshorn war ausgeschaltet, das Blaulicht leuchtete noch. Nachdem der Angeklagte den Weg mit seinem Fahrzeug freigemacht hatte, fuhr der Zeuge P mit dem Rettungswagen an, musste jedoch sofort wieder stoppen, da der Angeklagte nunmehr die Fahrertür öffnete, um aus dem Fahrzeug auszusteigen. Dieser Vorgang war weder besonders schnell noch besonders...

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