Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafvollzug. genereller Ausschluss des Bezuges bestimmter Zeitschriften. Anhalten von einzelnen Zeitschriften
Leitsatz (amtlich)
Ein genereller Ausschluss des Bezuges einer bestimmten Zeitschrift durch einen Strafgefangenen ist ausschließlich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 52 Abs. 3 S. 1 StVollzG NRW, mithin nur bei Straf- oder Bußgeldbewehrung einer Verbreitung der Zeitschrift, gerechtfertigt und demgegenüber nicht schon aus Gründen einer Gefährdung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gemäß § 53 Abs. 3 S. 2 StVollzG NRW, durch welche nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ausnahmslos nur das Anhalten von - jeweils inhaltlich auf ihr Gefährdungspotenzial zu überprüfenden - Einzelausgaben ermöglicht wird.
Normenkette
StVollzG NRW § 52 Abs. 2; StVollzG NRW § 52 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen V StVK 142/15) |
Tenor
Dem Betroffenen wird ohne Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde und der Frist für die Anbringung des Wiedereinsetzungsantrages gewährt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss - mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes - sowie der Bescheid der Justizvollzugsanstalt C vom 28.08.2015 werden aufgehoben. Die Justizvollzugsanstalt wird angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Soweit die Rechtsbeschwerde auf die unmittelbare Aushändigung der zur Habe des Betroffenen genommenen Zeitschrift gerichtet ist, wird sie als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betroffene zu tragen; jedoch wird die gerichtliche Gebühr jeweils um die Hälfte ermäßigt. Die Landeskasse hat insgesamt die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu 1/2 zu tragen.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. I wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Betroffene verbüßt derzeit in der JVA C zwei Freiheitsstrafen wegen sexueller Nötigung und Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.
Seit Anfang des Jahres bezog er die Zeitschrift "gefangenen info", ohne zuvor einen Antrag bei dem Antragsgegner auf Genehmigung des Bezugs dieser Zeitschrift gestellt zu haben.
Die acht Mal jährlich erscheinende Zeitschrift hat sich aus der "Angehörigen Info", welche wiederum aus der - zu Beginn des zehnten Hungerstreiks inhaftierter RAF-Terroristen 1989 gegründeten - Zeitschrift "Hungerstreik Info" hervorging, entwickelt. Herausgeber der Zeitschrift ist das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen und FreundInnen" (NSG). In der etwa 20 bis 30-seitigen Zeitschrift werden regelmäßig die Themen (Solidarität-) Hungerstreiks, "Isolationshaft", Unterbringungen im "Bunker", Maßnahmen einzelner Justizvollzugsanstalten und/oder bestimmbarer Bediensteter, Haftbedingungen, Missstände, Prozessberichte sowie die §§ 129 ff StGB erörtert.
Nachdem der Antragsgegner im Mai 2015 eine Zulassung der Zeitschrift generell geprüft und sich dagegen entschlossen hatte, händigte er weitere Zeitschriften ab der Ausgabe August 2015 nicht weiter aus.
Am 28.08.2015 wurde das an diesem Tage an den Betroffenen übersandte Exemplar der Zeitschrift "gefangenen info" aufgrund einer Anhalteverfügung des Antragsgegners vom selben Tage nicht an den Betroffenen ausgehändigt, sondern zu dessen Habe genommen.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Betroffene beantragt, die Anhalteverfügung des Antragsgegners vom 28.08.2015 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm das angehaltene Zeitschriftenexemplar auszuhändigen.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Bezug einer Zeitung oder Zeitschrift erfordere einen vorherigen schriftlichen Antrag des Gefangenen an die Bereichsleitung oder an die Abteilung Sicherheit und Ordnung, wo geprüft werde, ob gegen den Bezug der Zeitung oder Zeitschrift Bedenken bestünden. Mangels eines solchen Antrags des Betroffenen in Bezug auf die Zeitschrift "gefangenen info" habe beim Übersenden der Zeitschrift keine Vermittlung durch die Anstalt gemäß § 52 Abs. 1, 2 i.V.m. § 15 Abs. 2 StVollzG NRW vorgelegen und sei aus diesem Grund die Zeitschrift zur Habe des Betroffenen gegeben worden.
Bei der erfolgten generellen Prüfung, ob gegen die Zulassung der Zeitschrift innerhalb der JVA C Bedenken bestünden, seien vier Zeitschriftenexemplare, und zwar die Ausgaben Juli 2014, Juli/August 2014, Oktober/November 2014 und Januar/Februar 2015 stichprobenartig überprüft worden. Die kontrollierten Ausgaben der Zeitschrift "gefangenen info" enthielten unrichtige Darstellungen von Anstaltsverhältnissen sowie sehr subjektiv und zum Teil diffamierend verfasste Darstellungen verschiedener Entscheidungen einzelner Justizvollzugsanstalten und/oder dort beschäftigter Personen. Diese Darstellungen könnten geeignet sein, die aktiv...