Entscheidungsstichwort (Thema)
(Nicht-)Abhilfeentscheidung ohne Abhilfebefugnis. sofortige Beschwerde. Kostensache. Nichtigkeit/Unwirksamkeit richterlicher Entscheidungen
Leitsatz (amtlich)
1. Gänzliche Unwirksamkeit einer richterlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall ist dann anzuerkennen, wenn das Ausmaß und das Gewicht der Fehlerhaftigkeit für die Rechtsgemeinschaft geradezu unerträglich wären, weil die Entscheidung ihrerseits dem Geist der Strafprozessordung und wesentlichen Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung krass widerspricht. Zusätzlich muss die schwerwiegende Fehlerhaftigkeit offenkundig sein.
2. Die Unzuständigkeit des Entscheidungsträgers ist regelmäßig kein zur Nichtigkeit der Entscheidung führender, sondern nur die Rechtswidrigkeit begründender Fehler. Das gilt auch im dem Fall, in dem ein zum Treffen einer (Nicht-)Abhilfeentscheidung nicht befugtes Gericht eine solche Entscheidung trifft.
Normenkette
StPO §§ 464b, 311 Abs. 3, § 104; RVG-VV Nrn. 4100, 4112, 4141
Verfahrensgang
LG Detmold (Entscheidung vom 27.01.2021; Aktenzeichen 23 KLs 10/19) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 1) vom 08.02.2021 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Detmold vom 27.01.2021 und auf den als sofortige Beschwerde gegen den teilweise der vorgenannten sofortigen Beschwerde abhelfenden Beschluss des Landgerichts Detmold vom 30.03.2021 auszulegenden Schriftsatz der Beschwerdeführerin zu 2) hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10.06.2021 durch nach Anhörung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm und des Beschwerdeführers zu 1) beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) wird der Beschluss der 3. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Detmold vom 30.03.2021 aufgehoben. Kosten für dieses Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 1) wird auf dessen Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 27.01.2021 hat das Landgericht (Rechtspfleger) die dem früheren Angeklagten, der seine Ansprüche an den Beschwerdeführer zu 1) abgetreten hatte, aus der Landeskasse gemäß § 467 StPO zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 624,75 Euro festgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer zu 1), der eine Festsetzung in Höhe von 1184,05 Euro beantragt hatte, am 08.02.2021 sofortige Beschwerde eingelegt. Auf dieses Rechtsmittel hin hat die 3. Strafkammer - Jugendkammer -des Landgerichts Detmold den Kostenfestsetzungsbeschluss dahin abgeändert, dass die zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 862,75 Euro festgesetzt worden sind. Mit Verfügung der Strafkammervorsitzenden vom 30.03.2021, welche am 08.04.2021 ausgeführt worden ist, ist die Übersendung einer Beschlussausfertigung an den Beschwerdeführer zu 1) und den Bezirksrevisor verfügt worden. Die Ausfertigung ist dem Bezirksrevisor bei dem Landgericht Detmold am 13.04.2021 formlos zugegangen. Mit am 22.04.2021 eingegangenen Schreiben vom 21.04.2021 hat der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Detmold darauf hingewiesen, dass die Strafkammer weder zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde noch zu einer Abhilfe befugt gewesen sein dürfte und bat "um weitere Veranlassung". Nach Übersendung dieses Schreibens an den Beschwerdeführer und dessen Stellungnahme vom 03.05.2021, in der u.a. ausgeführt hat, dass es ihm "scheißegal ist, ob ein Abhilfebeschluss ergeht oder die Beschwerdekammer diese sachlich richtige Entscheidung trifft" hat die Strafkammervorsitzende die Sache mit Verfügung vom 04.05.2021 dem Senat zur weiteren Veranlassung vorgelegt.
Der Präsident des Oberlandesgerichts hat Stellung genommen, der Beschwerdeführer zu 1) hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 1) ist zulässig gem. §§ 464b S. 3 StPO, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG. Sie ist fristgerecht i.S.v. § 464b S. 4 StPO eingelegt worden, der Beschwerdewert von mehr als 200 Euro ist erreicht. Die Beschwerdeberechtigung ergibt sich aus abgetretenem Recht. In dem oben wiedergebenen Satz in der Stellungnahme des Beschwerdeführers zu 1) kann noch keine Rücknahme des Rechtsmittels, soweit es über den von der Strafkammer zugesprochenen Betrag hinaus geht, gesehen werden. Er erklärt zwar, dass die Entscheidung "sachlich richtig" sei. Dies könnte dahin verstanden werden, dass er die Entscheidung akzeptiert und weitergehende Ziele nicht mehr verfolgt. Andererseits erklärt er an späterer Stelle, dass er eine abschließende Entscheidung über die Kostenfestsetzungen erwarte, was auf eine Weiterverfolgung seines Rechtsschutzzieles hindeutet. Der Beschwerdeführer ist auch beschwerdebefugt, nachdem er den Kostenfestsetzungsantrag aus abgetretenem Recht gestellt hatte (OLG Stuttgart Beschl. v. 4.7.2018 - 4 Ws 147/18 =, BeckRS 2018, 17053).
Einer Entscheidung des Senats steht die bereits vom Landgericht Detmold getroffene, auf die sofortige Beschwerde hin ergangene...