Leitsatz (amtlich)
Sind aber Anhaltspunkte für Besonderheiten, insbesondere alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, gegeben, bedarf es auch bei BAK-Werten unter 2 Promille einer eingehenden Erörterung der Voraussetzungen des § 21 StGB, wobei gerade dem Inhalt eines Blutentnahme-Protokolls besondere Bedeutung zukommt.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 08.03.2006) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bünde hatte den Angeklagten am 14.11.2005 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Warendorf vom 30.06.2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Gleichzeitig hat es die Straßenverkehrsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch 20 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil des Amtsgerichts Bünde hat der Angeklagte durch am 21.11.2005 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 27.01.2006 auf das Strafmaß beschränkt.
Mit dem angefochtenen Berufungsurteil hat die Berufungskammer des Landgerichts Bielefeld die Berufung verworfen.
Gegen das wiederum in seiner Anwesenheit verkündete Berufungsurteil hat der Angeklagte mit am 15.03.2006 bei dem Landgericht Bielefeld eingegangenem Schreiben seines Verteidigers vom selben Tage Revision eingelegt und das Rechtsmittel nach Urteilszustellung an den Verteidiger am 29.03.2006 mit am 19.04.2006 bei dem Landgericht Bielefeld eingegangenem weiteren Schreiben mit der Verfahrensrüge der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 3 StPO sowie der Verletzung des § 246 a StPO und mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet.
II.
Die zulässige Revision der Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld.
Bereits die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO verhilft der Revision zu ihrem vorläufigen Erfolg.
Das Landgericht hat hier seine Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO im Zusammenhang mit der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB verletzt. Das Landgericht hat sich in den Urteilsgründen mit den Voraussetzungen des § 21 StGB bzw. mit der Frage der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten an keiner Stelle ausdrücklich auseinandergesetzt, obwohl die von dem Landgericht im Übrigen getroffenen Feststellungen sowie der dem Senat auf die zulässige Aufklärungsrüge hin eröffnete Akteninhalt hierfür hinreichenden Anlass gaben.
Aus dem ärztlichen Bericht über die Blutentnahme vom 25.06.2005 ergab sich nämlich, dass bei dem Angeklagten zum Tatzeitpunkt - die Blutentnahme war 37 Minuten nach der Festnahme des Angeklagten - erhebliche Ausfallerscheinungen zu beobachten waren. Zwar war nach dem Eindruck des die Blutentnahme durchführenden Arztes das Bewusstsein des Angeklagten klar, sein Denkablauf geordnet, sein Verhalten beherrscht und seine Stimme unauffällig. Andererseits enthält der Untersuchungsbericht vom 25.06.2005 aber auch folgende Untersuchungsbefunde:
"Gang (geradeaus): schwankend
plötzliche Kehrtwendung nach vorherigem Gehen: unsicher
Drehnystagmus: wegen Schwindel nicht möglich
Finger-Finger-Prüfung: unsicher
Nasen-Finger-Prüfung: unsicher
Sprache: verwaschen
Pupillen: unauffällig
Pupillen-Lichtreaktion: verzögert."
Ähnliche Ausfallerscheinungen hatte der Bundesgerichtshof (BGH NStZ 1990, 384) als ausreichend angesehen, um die Verpflichtung des Tatrichters zu weiterer Aufklärung im Hinblick auf das Vorliegen einer alkoholbedingten Schuldminderung bei dem dortigen Angeklagten zu bejahen. Der der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegende allgemein anerkannte medizinische Erfahrungssatz, dass eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bei Blutalkoholkonzentrationen von 2 Promille an aufwärts nahe liege (BGHR StGB § 21 BAK 16), schließt nämlich nicht aus, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht auch bereits bei Blutalkoholkonzentrationen unterhalb dieses Wertes vorliegen können (BGH NStZ 1990, 384). Bei Blutalkoholkonzentrations-Werten unter 2 Promille darf der Tatrichter bei einem erwachsenen gesunden Menschen zwar in der Regel von voller Schuldfähigkeit ausgehen, wenn Besonderheiten in Tat oder Täterpersönlichkeit fehlen (BGH, NStZ 1990, 384; BGH StV 1986, 285). Sind aber Anhaltspunkte für Besonderheiten, insbesondere alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, gegeben, bedarf es auch bei BAK-Werten unter 2 Promille einer eingehenden Erörterung der Voraussetzungen des § 21 StGB, wobei gerade dem Inhalt eines B...