Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde. vorläufige Entziehung. Fahrerlaubnis. Prüfungskompetenz. Revision
Leitsatz (amtlich)
1. Gegen die von der Berufungskammer angeordnete vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist das Rechtsmittel der Beschwerde auch während des laufenden Revisionsverfahrens gegen das die Fahrerlaubnisentziehung anordnende Berufungsurteil zulässig (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).
2. Die Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichtes unterliegt dann keiner generellen Einschränkung in dem Sinne, dass neue Tatsachen und Beweismittel oder eine vom Tagericht abweichende Tatsachenbeurteilung durch den Revisionsführer außer Betracht zu bleiben haben (gegen: Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 31. Juli 2008, 1 Ws 315/08; Kammergericht Berlin, Beschluss vom 14. März 2006, 1 AR 231/06 - 1 Ws 101/06).
3. Das schriftlich abgefasste und mit der Revision angegriffene Berufungsurteil entfaltet für die anzustellende Beurteilung, ob dringende Gründe im Sinne des § 111 a Abs. 1 S. 1 StPO vorliegen, eine mindestens indizielle Wirkung jedenfalls dann, wenn es für diese Beurteilung eine geeignete Grundlage darstellt.
Normenkette
StPO §§ 304, 111a
Verfahrensgang
LG Detmold (Aktenzeichen 4 Ns 35 Js 332/14 (125/14)) |
Tenor
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer.
Gründe
I.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Detmold erließ das Amtsgericht Detmold einen Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, verhängte eine Geldstrafe und erließ Maßregelanordnungen gem. §§ 69, 69a StGB. Nach Einspruch des Angeklagten verurteilte das Amtsgericht ihn wegen Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 0,5 Promille zu einer Geldbuße von 500,- €. Es vermochte die Voraussetzungen einer Straftat gemäß § 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB nicht festzustellen, sah von einer Verurteilung insoweit und Maßregelanordnungen gem. §§ 69, 69 a StGB ab. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft verurteilte das Landgericht Detmold den Angeklagten am 22. Juli 2014 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis, zog seinen Führerschein ein und wies die Verwaltungsbehörde an, ihm vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Mit Beschluss vom selben Tage entzog es dem Angeklagten gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig, woraufhin der Angeklagte noch in der Sitzung seinen Führerschein überreichte.
Mit Schriftsätzen vom 24. Juli 2014 legte der Angeklagte einerseits gegen den zuletzt genannten Beschluss Beschwerde und andererseits gegen das Urteil Revision ein.
Mit der Revision ist der Senat zwar gegenwärtig ebenfalls befasst; sie ist aber anders als die Beschwerde noch nicht zur Entscheidung reif.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Gegen die von der Berufungskammer angeordnete vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist das Rechtsmittel der Beschwerde auch während des laufenden Revisionsverfahrens gegen das die Fahrerlaubnisentziehung anordnende Berufungsurteil uneingeschränkt zulässig.
Die Frage der Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, die von der Berufungskammer im Rahmen der Berufungshauptverhandlung ausgesprochen oder bestätigt wird, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Mit Beschluss vom 1. April 1996 (3 Ws 166/96) hat der Senat eine solche ohne Prüfung der Voraussetzungen des § 111a StPO verworfen. Die Frage, ob dringende Gründe iSd § 111a StPO vorlägen, hänge in diesem Verfahrensstadium nur noch davon ab, ob die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 69 StGB unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten Bestand habe. Eine Prüfung des Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht könne nach Erlass des Berufungsurteils nicht mehr stattfinden; andernfalls werde die Struktur des Revisionsverfahrens unterlaufen. Diese Rechtsprechnung wird auch von anderen Obergerichten mit der genannten Begründung vertreten; ferner gehe die Zulässigkeit der Beschwerde mit der Gefahr divergierender Entscheidungen einher (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17. Mai 1996, 2 Ws 187/96, NStZ-RR 1996, 267; Beschluss vom 2. März 1999, 4 Ws 78/99; OLG Brandenburg, Beschluss vom 25. Januar 1996, 2 Ws 249/95, NStZ-RR 1996, 170; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. August 1995, 3 Ws 436/95, NZV 1995, 459).
b) Abweichend von dieser Rechtsprechung sieht der Senat diese Argumentation schon nicht in allen möglichen Konstellationen als tragfähig an.
Sind etwa Revision und Beschwerde gleichzeitig entscheidungsreif, wird die Beschwerde bei Verwerfung der Revision gegenstandslos. Grundlage für die Entziehung ist dann nicht (mehr) die mit der Beschwerde angegriffene vorläufige Entscheidung gem. § 111a StPO, sondern das rechtskräftige Urteil.
Führt hingegen die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, besteht kein Bed...