Leitsatz (amtlich)
Auch wenn die Schulpflicht in erheblicher Weise verletzt wird, kann es im Einzelfall unverhältnismäßig sein, den Eltern das Aufenhaltsbestimmungsrecht zu entziehen.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a
Verfahrensgang
AG Warendorf (Beschluss vom 09.03.2012; Aktenzeichen 9 F 715/11) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindeseltern und des betroffenen Kindes wird der am 9.3.2012 verkündete Beschluss des AG - Familiengericht - Warendorf teilweise abgeändert und wie folgt insgesamt wie folgt neu gefasst:
Den Kindeseltern wird das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten, das Recht der Gesundheitsfürsorge und das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen, betreffend das Kind K entzogen und auf das Kreisjugendamt Warendorf als Ergänzungspfleger übertragen.
Den Kindeseltern wird aufgegeben,
1. nach ihren Kräften dafür zu sorgen, dass das betroffene Kind K C der Schulpflicht nachkommt, und insbesondere K zum Schulbesuch zu motivieren; mit dem Ergänzungspfleger nach dessen Maßgaben zusammenzuarbeiten; dem Ergänzungspfleger und von diesem beauftragten Personen - insbesondere zur häuslichen Beschulung des Kindes - Zugang zum betroffenen Kind K zu gestatten; den Ergänzungspfleger auch im Rahmen der Gesundheitsfürsorge zu unterstützen, insbesondere an den von diesem bestimmten Diagnose- und Therapiemaßnahmen mitzuwirken.
Die weiter gehenden Beschwerden werden zurückgewiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert für die Beschwerde wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Es geht um das Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten betr. das Kind K C (*0. 0.20...).
Die Antragsgegner sind die bis zur angefochtenen amtsgerichtlichen Entscheidung grundsätzlich sorgeberechtigten Eltern von K. K wurde im Jahre 2009 im Alter von 7 Jahren eingeschult. Bereits im ersten Schuljahr blieb K an 43 Tagen der Schule fern. Am 8.10.2010 meldeten die Eltern K von der Regelgrundschule in Enniger ab, ohne ihn gleichzeitig an einer anderen Schule anzumelden. Danach besuchte K einige Tage die Waldorfschule in F. In der Zeit vom 19. bis 26.5.2011 besuchte er die B-Schule in W. Zuletzt wurde im April 2012 ein Versuch unternommen, K zunächst zu Hause durch Lehrerinnen zu beschulen, um eine Wiedereingliederung in die Grundschule vorzubereiten. Dieser Versuch scheiterte. Weitere Schulbesuche fanden seitdem nicht mehr statt.
Zu K:
Er ist das 6. Kind seiner Eltern und hat nur wenige Tage den Regelkindergarten besucht. Nach Angaben der Kindesmutter habe er sich seinerzeit nicht von ihr trennen können.
Ks gewöhnlicher Tagesablauf sieht so aus, dass er spätestens gegen 9.00 Uhr morgens aufsteht und sich mit PC-Spielen, Lesen, Handarbeit und dem Lernen von schulischen Inhalten beschäftigt. Oft läuft er aber auch nur den Eltern und den weiteren im gemeinsamen Haushalt lebenden Geschwistern hinterher. Nach dem Mittagessen spielt er zumeist am PC. Er sitzt täglich etwa 4 Stunden vor dem Computer. Die Eltern versuchen nach Angaben der Kindesmutter, die Computerspielzeit auf täglich 3 Stunden zu begrenzen.
Befreundet ist K mit einem Nachbarjungen namens I, mit dem er sich etwa dreimal pro Woche trifft, um gemeinsam zu spielen, bevorzugt am PC. Seit kurzer Zeit hat er auch noch einen weiteren Freund namens F.
Eine feste Zeit zum Schlafengehen wird K nicht gesetzt. Nach seinen eigenen Angaben geht er zwischen 21 Uhr und 21.30 Uhr ins Bett, allerdings nur, "wenn kein toller Film im Fernsehen kommt". Ansonsten geht er ins Bett, wenn der Film zu Ende ist.
Zur Kindesmutter:
Die Kindesmutter war zum Jahreswechsel 2012/2013 49 Jahre alt. Sie ist Diplom-Informatikerin und geringfügig beschäftigt. Sie gibt Computerkurse an der Volkshochschule. Zusammen mit dem Kindesvater hat sie neben K noch 5 weitere Kinder:
- B und T, Zwillinge, 28 Jahre, Studenten, bzw. abgeschl. Bachelor-Studium,
- S, 21 Jahre, Student,
- D, 20 Jahre, Schülerin, hat gerade ihr Abitur absolviert und
- M, 16 Jahre, Schüler eines Gymnasiums, verweigert derzeit den Schulbesuch, da er von anderen Kindern gemobbt worden sei.
Zum Vater:
Der Kindesvater war zum Jahreswechsel 2012/2013 51 Jahre alt. Er ist aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und einer Suchtproblematik seit dem Jahr 1998 von einer Amtsärztin dauerhaft als erwerbsunfähig eingestuft worden. Bereits als Jugendlicher war er tablettenabhängig. Einen ersten Suizidversuch unternahm er im Alter von 16 Jahren; weitere Suizidversuche folgten. Es folgten stationäre Behandlungen in den Jahren 1980 und 1984. Seit einer Entgiftung im Jahr 1988 erfolgte kein Tablettenmissbrauch oder Suizidversuch mehr. Nachfolgend entwickelte sich allerdings eine Alkoholproblematik in Phasen. Zwischen den Phasen ist er für mehrere Monate trocken.
Seit dem Jahr 2002 arbeitet er an zwei Büchern, die sich u.a. mit Nahtoderfahrungen, visionären Welten, halluzinatorischen Zuständen und Phänomenen, Kristallomantie und biochemischen Prozessen befassen.
Im Hin...