Leitsatz (amtlich)
Der Versicherer hat der Hinweispflicht aus § 19 Abs. 5 VVG auch dann nachzukommen, wenn dem Versicherungsnehmer die Antragsfragen zwar zeitlich noch unter Geltung des alten VVG (d.h. bis zum 31.12.2007) ohne die nach neuer Rechtslage erforderliche Belehrung gestellt worden sind, er seine Annahmeentscheidung aber erst unter Geltung des neuen VVG (d.h. ab dem 1.1.2008) getroffen hat, so dass der Vertrag gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG nach neuem Recht geschlossen ist.
In einem solchen Fall ist der Versicherer gehalten, seine Belehrung bis zum Zeitpunkt seiner Annahmeerklärung nachzuholen.
Verfahrensgang
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und es erfordert auch nicht die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung des Berufungsgerichts.
Das LG hat den Klageanträgen zu Recht stattgegeben, weil die Beklagte in vollem Umfang an ihre mit dem Versicherungsschein vom 30.1.2008 dokumentierten vertraglichen Leistungszusagen gebunden ist.
1. Die von der Beklagten unter dem 21.4.2010 erklärte Vertragsanpassung zum rückwirkenden Leistungsausschluss für Behandlungen von Zahn- und Kieferfehlstellungen der Tochter der Klägerin ist unwirksam. Dabei kann offen bleiben, ob der Klägerin eine zumindest fahrlässige Anzeigepflichtverletzung vorzuwerfen ist. Eine wirksame Vertragsanpassung scheitert jedenfalls daran, dass die Beklagte die Klägerin unstreitig nicht gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung nach dem neuem VVG hingewiesen hat.
Die Hinweispflicht aus § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG entfiel für die Beklagte nicht deshalb, weil sie die Klägerin bereits am 30.12.2007 und damit im Geltungszeitraum des VVG a.F. nach den gefahrerheblichen Umständen i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG gefragt hatte.
a) Grundsätzlich richtet sich die Anwendbarkeit von § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG. Danach ist das VVG und so auch § 19 in seiner seit dem 1.1.2008 geltenden Fassung anzuwenden, wenn der Versicherungsvertrag im Zeitraum ab dem 1.1.2008 geschlossen worden ist. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses bzw. gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB der Zugang der Annahmeerklärung des Versicherers (Prölls/Martin/Armbrüster, VVG 28. Aufl. 2010, Art. 1 EGVVG, Rz. 2, 11).
Der streitgegenständliche Krankenversicherungsvertrag für die Tochter der Klägerin ist erst am 30.1.2008 geschlossen worden, denn die Beklagte hat den Versicherungsantrag der Klägerin erst zu diesem Zeitpunkt angenommen bzw. ihr dieses mitgeteilt.
b) Gegen die Geltung der Hinweispflichten aus § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG lässt sich auch nicht mit Erfolg einwenden, dass insofern das sog. "Spaltungsmodell" zur Anwendung kommen müsse. Zwar gilt das neue Recht nur für solche Sachverhalte, die nicht unter dem alten VVG bereits vollständig abgeschlossen sind (Prölls/Martin/Armbrüster, a.a.O., Rz. 9). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bedurfte es insofern keiner gesetzlichen Klarstellung, dass etwa die Fragen des Vertragsabschlusses nach der Rechtslage zu beurteilen sind, die zum maßgeblichen Zeitpunkt Geltung hatte (BT-Drucks. 16/3945, 118). Einigkeit besteht deshalb darüber, dass sich die Frage einer Anzeigepflichtverletzung für einen unter Geltung des alten VVG abgeschlossenen Vertrag nach den §§ 16 ff. VVG a.F. beurteilt, während sich die Rechtsfolgen allein nach der Neuregelung richten (vgl. etwa Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl. 2011, § 19 Rz. 5; OLG Frankfurt, VersR 2012, 1107, Juris-Rz. 12).
c) Aus diesem Gedanken wird vereinzelt der Schluss gezogen, dass auch dann für die Frage einer Anzeigepflichtverletzung altes Recht gelten müsse, wenn zwar der Vertrag unter Geltung des neuen VVG geschlossen wurde, die Antragsfragen aber noch im Jahr 2007 gestellt und beantwortet wurden (Looschelders, a.a.O., Rz. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle, PK-VersR 2011, § 19 Rz. 152; Neuhaus, jurisPR-VersR 8/2012 Anm. 2).
Die Vertreter dieser Ansicht übersehen allerdings, dass der Tatbestand einer Anzeigepflichtverletzung sich schon nach alter Rechtslage nicht in der bloßen Beantwortung der Antragsfragen erschöpfte und als solches einen abgeschlossenen Vorgang darstellte. Die Anzeigepflichten im Hinblick auf gefahrerhebliche Umstände dienen - nach alter und neuer Rechtslage - der richtigen Risikoeinschätzung des Versicherers und stehen deshalb in untrennbarem Zusammenhang mit dessen Risikoprüfung bzw. Annahmeentscheidung (Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. 2003, § 16 Rz. 1). Sie treffen den Versicherungsnehmer nicht nur bei der unmittelbaren Beantwortung der Antragsfragen. Bereits nach § 16 Abs. 1 VVG a.F. waren gefahrerhebliche Umstände grundsätzlich bis zur "Schließung des V...