Verfahrensgang
LG Hagen (Aktenzeichen 9 O 318/21) |
Tenor
In dem Rechtsstreit weist der Senat die Parteien gem. § 139 ZPO darauf hin, dass die Berufung Erfolg haben dürfte.
I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
Gründe
Der Beklagten steht kein Recht zu, bei der unstreitig vorliegenden Obliegenheitsverletzung nach § 13 Abs. 1 AVB einen aus einem Versicherungsfall folgenden Erstattungsanspruch anteilig gem. § 14 AVB i.V.m. § 28 Abs. 2 S. 2 VVG wegen einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung zu kürzen. Denn die Rechtsfolgenvereinbarung in § 14 AVB ist gem. § 32 S. 1 VVG wegen Verstoßes gegen die halbzwingende Vorschrift des § 28 Abs. 2, 3 VVG unwirksam. Der Verstoß der Klägerin gegen die in § 13 Abs. 1 AVB geregelte Obliegenheit bleibt deswegen folgenlos. Der Klägerin steht folglich der ungekürzte Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zu.
Im Einzelnen:
1. Für die wirksame Vereinbarung der Rechtsfolgen für Verletzungen vertraglich vereinbarter Obliegenheiten ist von folgenden rechtlichen Maßstäben auszugehen:
Will der Versicherer bei Verletzung einer vertraglich wirksam vereinbarten Obliegenheit (vollständige oder teilweise) Leistungsfreiheit in Anspruch nehmen, setzt dies eine wirksame vertragliche Vereinbarung nicht nur der Obliegenheit selbst, sondern auch der Rechtsfolge voraus. Ebenso wie im Fall der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung, bei welcher § 28 Abs. 2 S. 1 VVG ausdrücklich anordnet, dass der Vertrag selbst bestimmen muss, dass der Versicherer bei Verletzung einer vom Versicherungsnehmer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist, gilt auch für den Fall der in § 28 Abs. 2 S. 2 VVG geregelten groben Fahrlässigkeit, dass der Vertrag die Rechtsfolgen dieser Verletzung regeln muss (BGH, Urt. v. 12.10.2011 - IV ZR 199/10, VersR 2011, 1550 Rn. 34 m.w.N.; BGH, Urt. v. 02.04.2014 - IV ZR 124/13, Juris Rn. 15 ff.; Marlow, VersR 2019, 1289, 1294). § 28 Abs. 2 VVG begründet also keine Rechte des Versicherers, sondern beschränkt bzw. begrenzt vielmehr - vor allem verschuldensabhängig - dessen Regelungsmöglichkeiten bei Obliegenheitsverletzungen (Marlow, in: Marlow/Spuhl, BeckOK VVG, Stand: 01.11.2022, § 28, Rn. 101).
Sofern - wie hier in § 14 VVG (Bl. 13 eGA-I) - in der Rechtsfolgenregelung in den AVB nicht auf die gesetzliche Regelung in § 28 VVG verweisen wird und somit eine eigenständige vertragliche Sanktionsregelung für Obliegenheitsverstöße getroffen wird, müssen dem Versicherungsnehmer in dieser Regelung die Voraussetzungen einer möglichen Leistungsfreiheit oder -kürzung deutlich gemacht werden. Nur so kann er seine Verteidigungsmöglichkeiten erfassen. Das bedeutet, dass eine solche vertragliche Sanktionsbestimmung neben einem klaren und eindeutigen Hinweis auf die vom Verschuldensgrad (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) abhängige Kürzung des Anspruchs auch den Hinweis auf die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises (§ 28 Abs. 3 VVG) enthalten muss (BGH, Urt. v. 02.04.2014 - IV ZR 124/13, Juris Rn. 20; Schimikowski, JurisPR-VersR 9/2017, Anm. 3; Pohlmann, in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 3. Aufl. 2016, § 28 Rn. 116). Das ergibt sich über den Wortlaut des § 28 Abs. 2 VVG hinaus zudem aus dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB (Marlow, r+s 2015, 591, 592).
2. In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich § 14 AVB gem. § 32 S. 1 VVG i.V.m. § 28 Abs. 2, 3 VVG als unwirksam.
In § 14 heißt es für Obliegenheitsverletzungen abschließend:
"Folgen der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit
Ein Verstoß gegen die genannten Obliegenheiten (insbesondere nicht wahrheitsgemäße Schadensberichte, falsch angegebene Daten bezüglich des versicherten Gegenstandes oder des Versicherungsnehmers), können je nach Art der Pflichtverletzung zum gesamten oder teilweisen Verlust des Versicherungsschutzes führen."
Es wird bei der vorgesehenen Leistungskürzung in dieser Regelung nicht- wie es § 28 Abs. 2 VVG vorsieht - hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen zur Folge haben können) differenziert, sondern es wird die "Art der Pflichtverletzung" genannt. Die Art der Pflichtverletzung kann indes nicht gleichgesetzt werden mit dem Grad des Verschuldens. Zudem weicht § 14 AVB zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 28 Abs. 3 VVG ab, indem der Kausalitätsgegenbeweis nicht eröffnet wird (BGH, Urt. v. 02.04.2014 - IV ZR 124/13, Juris Rn. 20).
II. 1. Die Beklagte mag unter Kostengesichtspunkten ein Anerkenntnis der - lediglich in Höhe von 25 % der ursprünglich geltend gemachten Forderung - mit der Berufung weiterverfolgten Klage erwägen.
2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Die Sache ist am 02.02.2023 durch Anerkenntnisurteil entschieden worden.
Fundstellen
Haufe-Index 15602757 |
ZfS 2023, 268 |