Leitsatz (amtlich)

Bei der Auswahl des Vormunds sind neben den Neigungen des Kindes auch der mutmaßliche Wille der Eltern und verwandtschaftliche Beziehungen zu berücksichtigen. Ist ein minderjähriger Flüchtling durch seine 19-jährige Schwester, die ebenfalls geflohen ist, begleitet und wird eine Urkunde vorgelegt, aus der sich eindeutig der Wunsch der Kindeseltern ergibt, dass die Schwester des Minderjährigen Vormund sein soll, so ist die Schwester trotz fehlender deutscher Sprachkenntnisse und fehlender Kenntnisse des deutschen Rechtssystems dann vorrangig als Vormund zu bestellen, wenn keine sonstigen konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass sie zur Führung der Vormundschaft nicht geeignet ist.

 

Verfahrensgang

AG Olpe (Beschluss vom 10.01.2017; Aktenzeichen 22 F 767/16)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Kindes wird der am 10.1.2017 erlassene Beschluss des AG - Familiengericht - Olpe teilweise abgeändert.

Als Vormund wird statt des Kreisjugendamtes Q die Schwester des Kindes, Frau N, geboren ... 1998, derzeit wohnhaft Q, bestimmt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das am ... 2002 geborene Kind ist ein aus Syrien stammender Flüchtling. Nachdem die gesamte Familie zunächst nach Libyen geflohen war - dort halten sich nach wie vor die Eltern sowie weitere Geschwister an einem sicheren Ort auf - gelangte das Kind nach Deutschland. Zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens am 3.11.2016 hielt es sich mit seiner Schwester N, geboren am ... 1998, ebenfalls aus Syrien geflohen, in einer Flüchtlingsunterkunft in C im Kreis T auf. Am 10.11.2016 wurde es in eine zentrale Unterbringungseinrichtung nach Q verlegt. Der Kreis T legte am 6.12.2016 ein in Übersetzung vorliegendes undatiertes Schreiben der Eltern des Kindes und seiner Schwester vor, aus dem sich ergibt, dass es der Wunsch der Eltern sei, dass die ältere Schwester sich um alle Angelegenheiten ihres jüngeren Bruders kümmern solle.

Das AG hat mit dem angefochtenen Beschluss nach Bestellung eines Verfahrensbeistands und ohne Anhörung des Kindes im schriftlichen Verfahren das Ruhen der elterlichen Sorge gemäß § 1674 Abs. 1 BGB festgestellt, Vormundschaft angeordnet und das Jugendamt des Kreises Q zum Vormund bestellt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Kindeseltern, da sie noch in absehbarer Zeit in Libyen leben, an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert seien. Die Schwester des Jungen sei als Vormund nicht geeignet, da sie nach Angaben des Verfahrensbeistands kein Deutsch und nur unzureichend Englisch spreche.

Hiergegen haben das Jugendamt des Kreises Q und das Kind selber Beschwerde eingelegt.

Der Kreis Q hat sich gegen seine Bestellung als Vormund gewandt, da das Kind vom Landesjugendamt dem Kreis T zugewiesen sei.

Das Kind hat seine Beschwerde damit begründet, dass es seinem und dem Wunsch seiner Eltern entspreche, dass seine Schwester die Vormundschaft übernehme. Sie spreche gut Englisch und die Vormundschaft für die Schwester sei auch für das Asylverfahren von Bedeutung, weil sie Asylanträge gestellt hätten, über die noch nicht entschieden und andernfalls eine getrennte Unterbringung möglich sei.

II.1. Die Beschwerden sind gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und gemäß §§ 63 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 FamFG frist- und formgerecht eingelegt worden.

2. Die Beschwerde des Kindes hat auch in der Sache Erfolg.

Das AG hat zunächst die gemäß § 159 Abs. 1 S. 1 FamFG zwingend gebotene Anhörung des 14 Jahre alten Kindes unterlassen, obwohl es zunächst einen Anhörungstermin anberaumt hatte. Dies hat der Senat nachgeholt.

Die vom AG erfolgte Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge ist von keinem der Beteiligten angegriffen worden, so dass es bei den diesbezüglichen Feststellungen des AG verbleibt.

Die konkrete Auswahl des Vormunds erfolgt im Fall der Entziehung des Sorgerechts gemäß § 1779 BGB durch das Familiengericht; ein Benennungsrecht der Eltern nach §§ 1776, 1777 BGB besteht nur für den Todesfall (vergleiche OLG Oldenburg, FamRZ 2013,54; Palandt-Götz, BGB, 76. Auflage, § 1779, Rn. 1), so dass ein Benennungsrecht auch nicht für den Fall des Ruhens der elterlichen Sorge bestehen dürfte. Allerdings ist der elterliche Wille auch beim Sorgerechtsentzug und somit auch beim Ruhen der elterlichen Sorge nicht völlig unbeachtlich (vergleiche OLG Frankfurt, FamRZ 2008, 1554; Palandt-Götz, aaO).

Gemäß § 1779 Abs. 2 BGB hat das Vormundschaftsgericht als Vormund eine Person auszuwählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und nach ihrer Vermögenslage unter Berücksichtigung der gesamten Lebensumstände zur Übernahme des Amtes geeignet ist. Bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Personen sind neben den Neigungen des Kindes der mutmaßliche Wille der Eltern und verwandtschaftliche Beziehungen zu berücksichtigen. Auch wenn seit der Neufassung des § 1779 Abs. 2 BGB im Jahr 1997 der Vorrang verwandtschaftlicher Beziehungen entfallen ist (Engler, in: Staudinger, Kommen...

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