Verfahrensgang
AG Minden (Aktenzeichen 5 Cs -201 Js 911/14- 521/14) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Minden zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Minden hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil vom 28. Juli 2016 wegen unerlaubter Einreise zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt. Dem Verfahren liegt der Strafbefehl vom 26. November 2014 zugrunde, der dem Angeklagten am 28. November 2014 zugestellt wurde und gegen den er am 3. Dezember 2014 Einspruch eingelegt hat.
Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Angeklage algerischer Staatsangehöriger. Zur Sache hat das Amtsgericht die folgenden Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte wurde am 01.09.2010 aus der Bundesrepublik Deutschland nach Algerien mittels Flugabschiebung abgeschoben, nachdem ein Asylantrag, welchen er unter dem falschen Namen X1 gestellt hatte, rechtskräftig abgelehnt worden war. Obwohl er wusste, dass er nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen durfte, reiste er im September 2012 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und hielt sich seitdem hier auf. Ein am 01.11.2012 erneut gestellter Asylantrag unter dem Namen X2 wurde durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch Bescheid vom 23.05.2013, bestandskräftig seit dem 03.01.2014, als offensichtlich unbegründet abgelehnt."
III.
Die zulässig erhobene und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils.
1.
Dabei legt der Senat seiner Entscheidung zugrunde, dass das Amtsgericht entgegen der Fassung der Urteilsformel nicht nur den Tatbestand der unerlaubten Einreise gem. § 95 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG, sondern auch den anschließenden unerlaubten Aufenthalt i.S.v. § 95 Abs. 2 Nr. 1b AufenthG abgeurteilt hat. In diesem Fall besteht zwischen beiden Delikten Tateinheit i.S.v. § 52 StGB (Huber-Hörich, AufenthG, 2. Aufl., § 95, Rdnr. 220; Mosbacher in: GK-AufenthG, Stand: Juli 2008, § 95, Rdnr. 233; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 - 1 StR 118/00, NStZ 2001, 101). In dem Strafbefehl vom 26. November 2014 sind als Tatzeitraum und Tatort "in der Zeit vom 16. Februar 2009 bis zum 12. Oktober 2012 in Z" angegeben; inhaltlich wird dem Angeklagten vorgeworfen, dass er entgegen § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist sei und sich seit diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Eine Beschränkung dieses Tatvorwurfs ist nicht erfolgt. Die Liste der angewandten Vorschriften nennt beide Tatbestandalternativen. Auch die Feststellungen zur Tat belegen, dass nicht nur die unerlaubte Einreise, sondern auch der unerlaubte Aufenthalt Gegenstand der Verurteilung sein soll. Soweit der Angeklagte nach der Urteilformel lediglich wegen unerlaubter Einreise verurteilt wurde, dürfte es sich um ein Fassungsversehen handeln.
2.
Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthaltes nach § 95 Abs. 2 Nr. 1a, Nr. 1b AufenthG nicht. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichs ist in Bezug auf den Zeitpunkt der erneuten Einreise lückenhaft. Zudem fehlt es in den Urteilsgründen auch an den für erwiesen erachteten Tatsachen hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes.
a)
Anhand der getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht überprüfen, ob zum angegeben Tatzeitpunkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG a.F. bestand, das die erneute Einreise und den anschließenden Aufenthalt des Angeklagten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unerlaubt machte.
aa)
Das Amtsgericht hat bei seiner Entscheidung die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und deren durch Auslegung gewonnene Konkretisierung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen vom 19. September 2013 (C-297/12, [...]) und vom 1. Oktober 2015 (C-290/14, NvWZ-RR 2015, 952) nicht berücksichtigt.
(1) Die sog. Rückführungsrichtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gem. Art. 2 Abs. 1 - vorbehaltlich der Klausel in Absatz 2 der Vorschrift - Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr...