Entscheidungsstichwort (Thema)
Besetzungseinwand. Begriff der dauernden Verhinderung. Corona-Pandemie
Leitsatz (amtlich)
Die wegen Alters und/oder bestehender Vorerkrankungen begründete Zugehörigkeit zu einer so genannten Risikogruppe kann geeignet sein, die dauernde Verhinderung eines Richters betreffend die Leitung von öffentlichen Hauptverhandlungen während der Corona-Pandemie im Sinne des § 21i Abs. 1 GVG und einen darauf gestützten richterlichen Wechsel im Spruchkörper während des laufenden Geschäftsjahres zu begründen.
Normenkette
StPO § 222b; GVG § 21e Abs. 1
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 39 Ks 10/18) |
Tenor
Der Besetzungseinwand wird auf Kosten des Angeklagten teilweise als unzulässig und im Übrigen als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Vor dem Landgericht Dortmund wird gegen den Angeklagten ein Strafverfahren mit dem Vorwurf des Mordes geführt. Die Hauptverhandlung vor der 39. großen Strafkammer (Schwurgericht) hat nach zwischenzeitlicher Aussetzung am 04. August 2020 neu begonnen.
Mit am selben Tag per Fax übermitteltem Schreiben vom 24. Juli 2020 ist den Verteidigern des Angeklagten die Besetzung der Strafkammer durch die namentliche Bezeichnung der drei Berufsrichter (Vorsitzender Richter am Landgericht L, Richter am Landgericht M und Richterin am Landgericht N), der beigezogenen Ergänzungsrichterin (Richterin am Landgericht O) sowie der beiden Schöffen (P und Q) und der beigezogenen Ergänzungsschöffin (R) mitgeteilt worden.
Mit am selben Tag per Fax bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 31. Juli 2020 haben der Angeklagte und seine Verteidiger die falsche Besetzung des Gerichts sowohl in der Person des Vorsitzenden Richters am Landgericht L als auch in der Person des Schöffen Q gerügt.
Die Besetzungsrüge gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht L wurde auf folgenden Sachverhalt gestützt: Mit dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Dortmund für das Jahr 2020 wurde der Vorsitzende Richter am Landgericht S mit einem Arbeitskraftanteil (AKA) von 0,95 zum Vorsitzenden der 39. großen Strafkammer und mit einem AKA von 0,05 zum Vorsitzenden der 26. Zivilkammer bestellt. Mit Beschluss des Präsidiums vom 24. April 2020 (8. Änderung der Jahresgeschäftsverteilung 2020) wurde die Geschäftsverteilung geändert und es wurde beschlossen, dass der Vorsitzende Richter am Landgericht S mit Wirkung zum 01. Mai 2020 mit einem AKA von 0,95 aus der 39. großen Strafkammer ausscheidet und mit diesem AKA den Vorsitz der - neu gegründeten - 56. Strafkammer übernimmt, deren Zuständigkeit wie folgt bestimmt wurde: "alle ab dem 01. Mai 2020 eingehenden Anträge und Beschwerden, die vor Eingang einer Anklageschrift eingehen im Sinne der Regelungen in der richterlichen Geschäftsverteilung für das Jahr 2020 unter Punkt A.II.3., soweit diese nicht aufgrund einer Spezialzuständigkeit einer anderen Kammer zugewiesen sind bzw. von den Unterturnuskreisen C-BtM, C-Jugend und C-Wirtschaft erfasst werden". Mit einem AKA von 0,05 blieb er Vorsitzender der 26. Zivilkammer, die zuständig ist für sämtliche Maßnahmen und Verfahren nach dem Gesetz zur Therapie und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (ThuG), soweit dort eine Zuständigkeit des Landgerichts geregelt ist. Ferner wurde beschlossen, dass der Vorsitzende Richter am Landgericht L mit Wirkung zum 01. Mai 2020 aus der 35. großen Strafkammer ausscheidet und den Vorsitz der 39. großen Strafkammer (AKA 1,0) übernimmt. Die Gründe für das Ausscheiden des Vorsitzenden Richters am Landgericht S wurden in einem Vermerk des Präsidenten des Landgerichts vom 24. April 2020 niedergelegt. Danach sei der Vorsitzende Richter aufgrund einer Vorerkrankung mit Blick auf das Corona-Virus besonders gefährdet (sog. Risikogruppe). Die Situation sei mit dem Vorsitzenden ausführlich erörtert worden; im Ergebnis sei er für unabsehbare Zeit an der Ausübung der Vorsitzendentätigkeit in Gestalt der Durchführung öffentlicher Hauptverhandlungen gehindert.
Seitens des Angeklagten und seiner Verteidiger wurde gerügt, dass ein Grund i.S.v. § 21e Abs. 3 S. 1 GVG für den Vorsitzendenwechsel im laufenden Geschäftsjahr nicht vorgelegen habe. Eine individuelle Gesundheitsgefährdung des Vorsitzenden Richters am Landgericht S aufgrund der COVID 19-Pandemie begründe weder eine dauernde Verhinderung i.S.d. § 21e Abs. 3 S. 1 GVG, noch stelle sie einen sachlichen Grund dar, der - ausnahmsweise - Vorrang vor dem Anspruch des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter haben könne. Zudem seien die Gründe für den außerplanmäßigen Richterwechsel nicht ordnungsgemäß dokumentiert worden.
Die Besetzungsrüge gegen den Schöffen Q wurde damit begründet, dass dieser nach den von der Verteidigung eingesehenen Schöffenwahlunterlagen und Auswahlunterlagen für den konkreten Verhandlungstermin überhaupt nicht zugeloster Schöffe der 39. großen Strafkammer sei und darüber hinaus auch nicht über eine nachvollziehbare Auslosung wirksam für den konkreten Sitzungsbeginn am 04. August 2020 hinzugezogen worden sei.
Wegen der weit...