Leitsatz (amtlich)

1. Trotz des Grundsatzes in § 65 Abs. 4 FamFG, dass es im Beschwerdeverfahren unerheblich ist, ob das Familiengericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, hat das Beschwerdegericht seine und des erstinstanzlichen Gerichts internationale Zuständigkeit positiv festzustellen.

2. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Familiengerichte für die Regelung der elterlichen Sorge folgt abschließend aus Art. 8 Abs. 1 Brüssel-IIa-Verordnung. Danach ist die Zuständigkeit der deutschen Familiengerichte unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Kindes und der Eltern (hier: rumänisch) sowie unabhängig von dem früheren Aufenthalt der Familie im Ausland gegeben, wenn das betroffene Kind zur Zeit der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Ein Rückgriff auf Art. 21 EGBGB oder § 99 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FamFG kommt insoweit nicht in Betracht.

3. Ausländische Sorgerechtsentscheidungen, die im Inland anerkennungsfähig sind (hier ein Urteil eines rumänischen Gerichtshofs zur "Großerziehung und Belehrung" des Kindes), können in Deutschland am Maßstab des § 1696 BGB abgeändert werden, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist, da die Fürsorge für das Kind stets Vorrang hat.

4. Besteht bei dem betroffenen Kind und/oder einem Elternteil der Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung oder Störung, ist die Frage der Erziehungseignung des Elternteils, der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen des Kindes und der Möglichkeit einer Trennung des Kindes von dem Elternteil bzw. Rückführung zu diesem am Maßstab der §§ 1666, 1666a BGB regelmäßig nicht allein mit einem familienpsychologischen Sachverständigengutachten, sondern ergänzend mit einem psychiatrischen Sachverständigengutachten zu klären.

 

Normenkette

FamFG § 65 Abs. 4, § 99 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; Brüssel-IIa-Verordnung § 8 Abs. 1; EGBGB Art. 21; BGB §§ 1666, 1666a, 1696

 

Verfahrensgang

AG Gelsenkirchen-Buer (Beschluss vom 25.04.2013; Aktenzeichen 20 F 371/11)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin (Kindesmutter) gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Gelsenkirchen-Buer vom 25.4.2013 wird zurückgewiesen. Die Beschwerde des Antragsgegners (Kindesvaters) wird als unzulässig verworfen.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die 38-jährige Kindesmutter und der Kindesvater, Herr N, sind die Eltern des 13-jährigen nichtehelichen Kindes C N (*27.5.2001). Sowohl die Eltern als auch C besitzen die rumänische Staatsbürgerschaft und lebten zunächst auch in Rumänien.

Seit der Trennung der Eltern im Mai 2005 lebte die Kindesmutter mit C in Deutschland. Der Kindesvater blieb zunächst weiter in Rumänien, sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt, vermutlich lebt er in Norwegen. Die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter konnte keinen Kontakt zu ihm herstellen.

Durch Urteil des Gerichtshofes P (Rumänien) vom 28.9.2006 ist der Kindesmutter - mit Zustimmung des Kindesvaters - das Recht zur "Großerziehung und Belehrung" des Kindes C übertragen worden; im Übrigen verblieb es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge.

Die Kindesmutter ist seit April 2006 mit dem Kraftfahrer I (*... 19..) verheiratet. Die Familie ist dem Jugendamt der Stadt Gelsenkirchen seit 2006 bekannt, weil von verschiedenen Stellen eine Überforderung der Kindesmutter mit der Erziehung Cs sowie massive, auch körperliche Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten einerseits und der Kindesmutter und C andererseits berichtet wurden. Im September 2010 wurden die Kindesmutter und C in einem Frauenhaus untergebracht, weil die Kindesmutter unter Alkoholeinfluss gegen ihren Ehemann randaliert und diesen mit einer Gabel bewaffnet körperlich angegriffen hatte; im Januar 2011 kehrte die Kindesmutter jedoch zu ihrem Ehemann zurück. Zu ihrer Unterstützung betreffend die Erziehung von C wurde eine niederschwellige Erziehungshilfe eingesetzt.

Ende September 2011 wurde C, der Spuren körperlicher Misshandlungen aufwies, zunächst mit Einverständnis der Kindesmutter seitens des Jugendamts in Obhut genommen. Er erklärte, von seiner Mutter geschlagen und eingesperrt worden zu sein. Das sodann seitens der Kindesmutter angestrengte Herausgabeverfahren (20 F 339/11 AG-Familiengericht-Gelsenkirchen-Buer) wurde im Hinblick auf ihr erneut erklärtes Einverständnis hinsichtlich der Inobhutnahme in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Kindesmutter befand sich sodann vom 14.10.2011 bis Ende Dezember 2011 in Strafvollstreckungshaft, weil sie wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war.

Mit Antrag vom 27.10.2011 hat das Jugendamt im vorliegenden Verfahren hinsichtlich der Kindesmutter die teilweise Entziehung der elterlichen Sorge angeregt (Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht zur Gesundheitsfürsorge, Recht zur Beantragung von Hilfen), weil diese sich u.a. aufgrund von Misshandlungen in Form von...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?