Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung. sexuelle Handlung. erhebliche Einschränkung der Bildung oder Äußerung des Willens. Bestimmtheit. Verfassungsmäßigkeit
Normenkette
StGB § 177 Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 103 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 13 Ns 209/19) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Münster hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Münster mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Nach den (zusammengefassten) Feststellungen des Landgerichts, welches von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 177 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 StGB ausgeht, beförderte der Angeklagte am 00.00.2017 kurz nach Mitternacht als Taxifahrer in dem von ihm geführten Taxi die damals 17-jährige, sexuell noch unerfahrene, bei ihren Eltern lebende und stark alkoholisierte Nebenklägerin von einer Feier nach Hause. Dort angekommen stellte die Nebenklägerin fest, dass sie ihre Handtasche mit dem ihr von den Eltern zur Verfügung gestellten Fahrgeld und den Haustürschlüsseln auf der Feier vergessen hatte. Der Angeklagte telefonierte sodann mit dem auf der Feier noch befindlichen Bruder der Nebenklägerin, welche zuvor die Verbindung auf ihrem Mobiltelefon hergestellt hatte. Dieser besprach mit dem Angeklagten, dass er bei den Eltern klingeln solle, um sein Geld zu bekommen. Die Nebenklägerin musste sich mehrfach übergeben. Angesichts ihres Zustandes (die Eltern hatten ihr den Genuss von "hartem" Alkohol untersagt, den sie aber gleichwohl konsumiert hatte) wollte die Nebenklägerin nicht, dass die Eltern geweckt werden. Der Angeklagte klingelte nicht an deren Tür. Er erkannte den Zustand der Nebenklägerin, insbesondere, dass sie alkoholbedingt "motorisch sowie in ihrer Fähigkeit, einen klaren Willen zu bilden oder gar zu äußern, eingeschränkt war" und machte sich diesen in der Folge zu nutze: Er verbrachte die Nebenklägerin auf die Rückbank seines Taxis, legte sich zu ihr, entblößte ihren Unterleib, drückte ihr linkes Bein so zur Seite, dass auf der inneren Oberschenkelseite zwei Hämatome entstanden, und führte mit der Nebenklägerin den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge sowie mit mehreren Verfahrensrügen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Diesem Antrag hat sich die Nebenklägerin angeschlossen.
II.
Die zulässige Revision ist begründet und führt bereits auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache gem. §§ 354 Abs. 2, 349 Abs. 4 StPO. Die dem angefochtenen Urteil zu Grunde liegende Beweiswürdigung weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf.
Nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt, wenn der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert. Dass die Nebenklägerin aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung ihres Willens erheblich eingeschränkt war, wird durch die Beweiswürdigung nicht hinreichend belegt, was einen durchgreifenden, auf die Sachrüge hin beachtlichen, Erörterungsmangel darstellt.
1.
Der Senat teilt allerdings nicht die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung (etwa: Fischer, StGB, 68. Aufl., § 177 Rdn. 28; Renzikowski NJW 2016, 3554; vgl. auch: Spillecke StraFo 2018, 361, 363 ), dass man nicht wisse, was unter einer erheblich eingeschränkten Willensfähigkeit zu verstehen sei (so ausdrücklich Fischer, a.a.O.). Eine Differenzierung zwischen der Unfähigkeit, einen Willen zu bilden, und einer eingeschränkten Fähigkeit hierzu sei wissenschaftlich nicht möglich und es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, woran man dies erkennen können solle. Das müsse konsequenterweise zu einer Verfassungswidrigkeit der Norm wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) führen (so Renzikowski in: MK-StGB, 3. Aufl., § 177 Rdn. 70).
Diese Bedenken greifen nicht durch. Was unter einer erheblichen zustandsbedingten Einschränkung der Willensbildungs- oder Willensäußerungsfähigkeit zu verstehen ist, lässt sich vornehmlich im Wege der historischen Auslegung hinreichend den Gesetzesmaterialien entnehmen. Danach muss das Opfer nicht absolut unfähig sein, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern. Diese Fähigkeit muss aber erheblich eingeschränkt sein. Diese Erheblichkeit soll vo...