Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahlrevision. Zulässigkeit. Erziehungsmaßregel. Zuchtmittel. Rechtsfolgenentscheidung. Angriffsziel der Revision. Anwendung von Jugendstrafrecht. Heranwachsender. Begründungsanforderungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Um eine Umgehung der Begrenzung der im Rahmen von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG zulässigen Angriffsziele einer Revision zu verhindern, ergibt sich vor dem Hintergrund von § 344 Abs. 1 StPO, im Revisionsantrag anzugeben, inwieweit das Urteil angefochten werde, für den Revisionsführer die Notwendigkeit, eindeutig klarzustellen, dass mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt wird.

2. Das Revisionsgericht Senat ist nicht durch § 55 Abs. 1 JGG gehindert, das angefochtene Urteil allein im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Die Vorschrift beschränkt die Rechtsmittelbefugnis des Angeklagten, nicht aber die Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts.

3. Ob ein Heranwachsender zum Tatzeitpunkt noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im Wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendgericht bei der Beurteilung der Reife des Heranwachsenden grundsätzlich ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt wird. Um die Entscheidung hinsichtlich der im Einzelfall vorgenommenen Anwendung von Jugendrecht oder allgemeinem Strafrecht für das Revisionsgericht nachprüfbar zu machen, bedarf es einer detaillierten Darlegung der Entscheidungsgründe. Es müssen die Tatsachen und rechtlichen Schlussfolgerungen dargelegt werden, auf denen die jeweils konkrete Entscheidung beruht. In einer Gesamtschau sind alle für die Entwicklung maßgeblichen Umstände eingehend zu würden.

 

Normenkette

JGG § 55 Abs. 1, §§ 5, 105

 

Verfahrensgang

AG Paderborn (Aktenzeichen 26a Ds 163/19)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere als Jugendrichter zuständige Abteilung des Amtsgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den zum Tatzeitpunkt achtzehnjährigen Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen und gegen ihn einen Dauerarrest von einer Woche verhängt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Angeklagte am 22.07.2019 gegen 9.30 Uhr mit einem fahrerlaubnispflichtigen PKW u.a. die E-Straße in Q, wobei er wusste, dass er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß. Gem. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG hat das Amtsgericht Jugendstrafrecht angewendet.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Wahlrevision. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts, wobei er im Einzelnen beanstandet, dass die Feststellungen zur Sache lückenhaft seien und eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht trügen. Weiter rügt er, dass das Amtsgericht keine näheren Feststellungen zu Dauer und Länge der bisherigen Fahrt, zur noch beabsichtigten Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung und Anlass der Fahrt getroffen habe. Weiter bemängelt er die Sanktionsbemessung.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige (Wahl-) Revision ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO). Im Übrigen war sie als offensichtlich unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

1.

Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht § 55 Abs. 1 JGG nicht entgegen. Ein Urteil, das - wie hier mit der Verhängung von Jugendarrest - ausschließlich ein Zuchtmittel gegen den Angeklagten anordnet, kann gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 JGG nicht wegen des Umfangs der Maßnahme und nicht deshalb angefochten werden, weil andere Erziehungsmaßregeln oder (andere) Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen. Dementsprechend kann ein Rechtsmittel gegen ein allein derartige Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts verhängendes Urteil lediglich darauf gestützt werden, dass die Schuldfrage aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen falsch beurteilt oder die verhängte Sanktion selbst rechtswidrig ist. Diese gesetzliche Beschränkung in dem zulässigen Angriffsziel eines gegen ein solches Urteil gerichteten Rechtsmittels wirkt sich bei der Revision auf die aus § 344 Abs. 1 StPO resultierenden Anforderungen an den vom Gesetz verlangten Revisionsantrag aus. Um eine Umgehung der Begrenzung der im Rahmen von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG zulässigen Angriffsziele einer Revision zu verhindern, ergibt sich vor dem Hintergrund von § 344 Abs. 1 StPO, im Revisionsantrag anzugeben, inwieweit das Urteil angefochten werde, für den Revisionsführer die Notwendigkeit, eindeutig klarzustellen, dass mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt wird (BGH NStZ 2013, 659 m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird die Revision noch gerecht. Die Ausführungen in der Revisionsbegründungsschrift beziehen sich z...

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