Leitsatz (amtlich)
1. Im Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG betreffend die Beschlussfassung über einen Verschmelzungsbeschluss kommt als wesentlicher Nachteil, der ein vorrangiges Vollzugsinteresse begründen kann, das mögliche Scheitern eines beabsichtigten Börsengangs nach Verschmelzung in Betracht. Das gilt auch dann, wenn ohne Durchführung der Verschmelzung auch die Beantragung der Börsenzulassung durch den übertragenden Rechtsträger denkbar wäre.
2. Als wesentlicher Nachteil der Minderheitsaktionäre des übertragenden Rechtsträgers ist bei der Abwägung nach § 16 Abs. 3 S. 3 Nr. 3 UmwG nicht zu berücksichtigen, dass der übernehmende Rechtsträger über erhebliche Verbindlichkeiten verfügt und sie, die Aktionäre, nach Wirksamwerden der Verschmelzung an einer Gesellschaft mit einer deutlich geringeren Eigenkapitalquote beteiligt sein werden, wenn die hohen Verbindlichkeiten bei der Berechnung des Umtauschverhältnisses berücksichtigt worden sind.
3. Eine Umgehung der Regelung des § 57 AktG, die als besonders schwerer Rechtsverstoß der Freigabe trotz vorrangigen Vollzugsinteresses entgegenstehen könnte, liegt nicht vor, wenn die früheren Mehrheitsaktionäre des übertragenden Rechtsträgers (Aktiengesellschaft) ihre Aktien in eine zu dem Zweck gegründete GmbH einbringen, nach Beschaffung von Liquidität durch Emission einer Anleihe seitens der GmbH eine Ausschüttung an die Gesellschafter der GmbH vorgenommen wird und die übertragende Aktiengesellschaft sodann auf die in eine Aktiengesellschaft umgewandelte GmbH verschmolzen wird. Das gilt auch dann, wenn dieses Vorgehen einem anfänglichen Plan entspricht.
Normenkette
UmwG § 16 Abs. 3; AktG § 57
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 18 O 28/11, 18 O 29/11) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Erhebung der Klagen der Antragsgegnerinnen (LG Dortmund, IV. Kammer für Handelssachen, Az. 18 O 28/11 und 18 O 29/11) gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 15.12.2010 über die Zustimmung zu dem Verschmelzungsvertrag zwischen der Antragstellerin und der I AG, H, vom 28.10.2010 der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister nicht entgegensteht.
Die Antragsgegnerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 100.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Antragstellerin strebt die Freigabe der Eintragung eines Beschlusses ihrer Hauptversammlung in das Handelsregister trotz anhängiger Beschlussanfechtungsklagen an. Inhalt des Beschlusses ist die Zustimmung zur Verschmelzung der Antragstellerin auf die I AG.
Mehrheitsaktionäre der Antragstellerin mit einem Aktienbesitz von knapp 90 % waren zwei Investmentgesellschaften der sog. P-Gruppe. Die Mehrheitsaktionäre (im Folgenden: P) gründeten im Jahre 2010 die I GmbH und übertrugen ihre Aktien an der Antragstellerin auf die GmbH im Wege der Sachkapitalerhöhung. Die I GmbH emittierte im Juli 2010 eine Unternehmensanleihe (High Yield Bond) über 280 Mio. EUR zu einem Zinssatz von 9,75 %. Der Erlös der Anleihe wurde i.H.v. 191,02 Mio. EUR - einschließlich transaktionsbedingter Aufwendungen - an die Gesellschafter und im Übrigen für ein Darlehen an die Antragstellerin zur Tilgung von Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft verwendet. Nach Formwechsel der I GmbH in eine Aktiengesellschaft schlossen die Antragstellerin und die I AG am 28.10.2010 einen Verschmelzungsvertrag, wonach die Antragstellerin als übertragender Rechtsträger auf die I AG als aufnehmenden Rechtsträger verschmolzen werden sollte. Das Umtauschverhältnis der Aktien wurde mit einer Aktie der Antragstellerin zu 1,75 Aktien der I AG festgelegt. Nachdem die Hauptversammlung der I AG diesen Vertrag am 8.12.2010 einstimmig gebilligt hatte, stand die Beschlussfassung bei der Antragstellerin in einer außerordentlichen Hauptversammlung vom 15.12.2010 zur Entscheidung an.
Die Hauptversammlung der Antragstellerin stimmte dem Abschluss des Verschmelzungsvertrages mit einer Mehrheit von 92,28 % zu.
Die Antragsgegner haben vor dem LG Dortmund am 17.1.2011 Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen erhoben (18 O 28/10 und 18 O 29/10). Über die Klagen ist noch nicht entschieden.
Die Antragstellerin strebt im vorliegenden Verfahren die Freigabe nach § 16 Abs. 3 UmwG an. Sie vertritt die Auffassung, die Anfechtungsklagen seien unbegründet; zudem bestehe ein erhebliches Vollzugsinteresse, dem keine ersichtlichen Nachteile der Antragsgegner gegenüberstünden.
Komme es nicht zu der zeitnahen Eintragung der Verschmelzung, erlitten die beteiligten Gesellschaften sowie die Mehrheitsaktionäre wesentliche Nachteile. Die Verschmelzung sei ein Bestandteil einer Refinanzierungsmaßnahme, die mit dem Börsengang fortgesetzt werden solle. Für den noch im 2. Quartal 2011 beabsichtigten Börsengang sei die Verschmelzung unerlässlich. Die Verzögerung führe zudem zu einer Beschädigung der Reputation am Kapitalmarkt sowie einer Herabstufung im Rating. Die Verschmelzung hätte auch steuerliche Entlastungen i.H.v. ca. 7 Mio. EUR jährlich sowie den Wegf...