Leitsatz (amtlich)

Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung und Darlegung der entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen, die für das Rechtsbeschwerdegericht im Einzelnen nachprüfbar sein müssen.

 

Verfahrensgang

AG Essen (Entscheidung vom 11.12.2007)

 

Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 11. Dezember 2007 wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Essen hat den Betroffenen durch Urteil vom 11. Dezember 2007 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 540,- EUR verurteilt.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 5. Juni 2007 gegen 00.28 Uhr die Wuppertaler Straße außerhalb geschlossener Ortschaften mit einer Geschwindigkeit von 125 km/h, wobei die zulässige Geschwindigkeit 70 km/h betrug.

Gegen dieses Urteil richtet sich die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, der die Generalstaatsanwaltschaft Hamm beigetreten ist.

II.

Die gemäß §§ 79 Abs. 3 u. 4 OWiG, 341 Abs. 1 StPO zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft im genannten Umfang, wie das Amtsgericht im Wesentlichen aufgrund der geständigen Einlassung des Betroffenen festgestellt hat. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Die Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung des gemäß § 4 Abs. 1 Ziffer 1, 11.3.8 der Tabelle 1 des Anhangs der BKatV i.V.m. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG indizierten Fahrverbots.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 - m.w.N.; Beschluss vom 09.03.2004 - 4 Ss OWi 145/04 -).

Nach diesen Maßstäben stellen die vom Amtsgericht angeführten Umstände weder für sich allein noch in der Gesamtschau Gründe dar, die das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in der Weise abweichend erscheinen lassen, dass ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes angemessen wäre. Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes rechtfertigen nicht das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots, sondern nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (OLG Hamm, Beschluss vom 18.03.2004 - 3 Ss OWi 11/04 - m.w.N.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., Rdnr. 18 zu § 25 StVG m. zahlr. w. N.). Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot ist dabei eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen; eine unkritische Übernahme der Einlassung des Betroffenen ist insoweit nicht ausreichend (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.03.2004 - 3 Ss OWi 11/04 -; OLG Hamm, NZV 1996, 118; Hentschel, a.a.O.). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf dabei der positiven Feststellung und Darlegung der entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen, die für das Rechtsbeschwerdegericht im Einzelnen nachprüfbar sein müssen. Grundsätzlich hat jeder Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge des Fahrverbotes hinzunehmen und durch selbst veranlasste Maßnahmen, wie z.B. die teilweise Inanspruchnahme von Urlaub oder anderem auszugleichen.

Die Ausführungen des angefochtenen Urteils, aufgrund derer das Amtsgericht gegen Verdreifachung des an sich für angemessen erac...

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