Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafvollstreckungskammer. Zuständigkeit. Strafrestaussetzung. Einwilligung. Rücknahme
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Einwilligung in die Strafrestaussetzung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB handelt es sich um eine materiell-rechtliche Willenserklärung. Eine Einwilligungserklärung mit Wirksamkeit nur für ein bestimmtes Verfahren oder nur gegenüber einem bestimmten Gericht ist der Regelung des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB fremd, gleiches gilt für die Rücknahme der Einwilligung als actus contrarius (entgegen OLG Karlsruhe, MDR 1992, 595).
2. Ist die örtlich zuständige Strafvollstreckungskammer (im Folgenden: "alte StVK") mit der Frage der Strafrestaussetzung befasst und wird der Verurteilte nach dem Beginn dieser Befassung in eine zum Bezirk einer anderen Strafvollstreckungskammer (im Folgenden: "neue StVK") gehörende JVA verlegt und erklärt der Verurteilte sodann, er nehme die Einwilligung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB gegenüber der "alten StVK" zurück und erteile zugleich eine (neue) Einwilligung gegenüber der "neuen StVK", erklärt der Verurteilte in Wahrheit nichts Materielles, sondern nur etwas Prozessuales, nämlich den - im Rahmen der Zuständigkeitsregelung nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO irrelevanten - Wunsch, dass eine andere als die eigentlich örtlich zuständige Strafvollstreckungskammer entscheiden möge (entgegen OLG Karlsruhe, a.a.O.).
3. Eine echte Rücknahme der Einwilligung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB liegt nur dann vor, wenn den Erklärungen oder dem sonstigen Verhalten des Verurteilten der Erklärungswert zukommt, er wolle - entgegen seiner früher geäußerten Willenslage - nun doch zumindest bis auf Weiteres in Strafhaft bleiben.
Normenkette
StPO § 462 a Abs. 1 S. 1; StGB § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 100 StVK 3968/12) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Gründe
I.
Das Landgericht Aachen verurteilte den Beschwerdeführer am 22. Juni 2007 wegen schweren Raubes unter Einbeziehung von Strafen aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten. Das Urteil ist seit dem 22. Juni 2007 rechtskräftig. Seit diesem Tage befindet sich der Verurteilte in Strafhaft. Unter Berücksichtigung anzurechnender Untersuchungshaft sind zwei Drittel der Gesamtfreiheitsstrafe seit dem 20. Juli 2012 verbüßt, das Strafende ist auf den 20. September 2015 notiert.
Der Verurteilte befand sich zunächst in Haft in der JVA Aachen. Am 27. März 2008 wurde er in die JVA Hagen und am 11. August 2008 in die JVA Werl verlegt. Am 6. Oktober 2011 wurde er in die JVA Aachen zurückverlegt. Am 5. Januar 2012 ging sowohl bei der Staatsanwaltschaft Aachen als auch bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen ein auf den 20. Dezember 2011 datierter Führungsbericht der JVA Aachen ein, in dem diese zur Frage der bedingten Entlassung des Verurteilten nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe Stellung nahm. Der eine bedingte Entlassung nicht befürwortenden Stellungnahme war ein Formular beigefügt, auf dem der Verurteilte unter dem 29. November 2011 durch Ankreuzen eines entsprechenden Textfeldes seine Einwilligung in die Strafrestaussetzung zur Bewährung erklärt hatte. Die Staatsanwaltschaft Aachen übersandte das Vollstreckungsheft daraufhin mit Verfügung vom 12. Januar 2012 "zur Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung" an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen, wobei sie einer Strafrestaussetzung "mit Nachdruck" entgegentrat. Nachdem das Vollstreckungsheft am 13. Januar 2012 bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen eingegangen war, beraumte diese mit Verfügung vom 17. Januar 2012 einen Anhörungstermin auf den 8. März 2012 an.
Am 19. Januar 2012 wurde der Verurteilte in die JVA Bielefeld-Brackwede verlegt, in der er bis zum heutigen Tage inhaftiert ist. Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2012
meldete sich Rechtsanwältin U in E als Verteidigerin des Verurteilten und äußerte ihre Rechtsauffassung, mit der Verlegung des Verurteilten in die JVA Bielefeld-Brackwede sei die örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen für die Entscheidung über die bedingte Entlassung entfallen. Nachdem die Strafvollstreckungskammer in Aachen hierauf nicht reagiert, sondern lediglich mit Verfügung vom 6. Februar 2012 den Anhörungstermin auf den 29. März 2012 verlegt hatte, wandte sich Rechtsanwältin U mit Schriftsatz vom 28. Februar 2012 erneut an die Strafvollstreckungskammer in Aachen, rügte erneut die Unzuständigkeit der Aachener Strafvollstreckungskammer und bat um Abgabe der Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld. Zur Begründung führte sie aus, die Akten seien "verfrüht" an das Landgericht Aachen übersandt worden, weshalb eine örtliche Zuständigkeit dort von vornherein nicht begründet worden sei. Mit Schreiben vom 6. März 2012 teilte die Strafvollstreckungskammer in Aachen der Verteidigerin mit, sie teile die Bedenken gegen ih...