Entscheidungsstichwort (Thema)
Landwirtschaft. Arbeitnehmerentsendegesetz. Arbeitszeit. Aufzeichnungspflicht. Tarifvertrag. Rechtsverordnung. Ordnungswidrigkeit. analoge Anwendung
Leitsatz (amtlich)
Nicht jedem Arbeitgeber der im AEntG genannten Branchen ist grundsätzlich die Pflicht auferlegt, nach näherer Maßgabe des § 19 Abs. 1 AEntG im Anwendungsbereich der dort erfassten Tarifregelungen oder Rechtsverordnungen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers aufzuzeichnen. § 19 Abs. 1 AEntG verweist - soweit es um die Branche oder den Geltungsbereich geht - nur auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG und damit nur auf das Bauhauptgewerbe und das Baunebengewerbe. Eine analoge Anwendung der Sanktionierung auf die nach dem Wortlaut des § 19 Abs.1 nicht erfasste Branche der Landwirtschaft kommt nicht in Betracht.
Normenkette
AEntG § 4 Abs. 1 Nr. 1; OWiG § 3; MiLoG § 17 Abs. 1; AÜG § 17c Abs. 1; ArbZG § 16 Abs. 2; AEntG § 19 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Nr. 8; MiLoG § 21 Nrn. 7-8
Verfahrensgang
AG Bielefeld (Aktenzeichen 36 OWi 756 Js 417/15 (368/15)) |
Tenor
- Die Sache wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Alleinentscheidung der Einzelrichterin am Oberlandesgericht X).
- Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
- Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Der Betroffene ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes, in dem er den Mitarbeiter B, geboren am ##.##.1973, aufgrund eines Arbeitsvertrages, in dem u.a. die Arbeitszeit festgelegt ist, mit einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 3.006,72 Euro beschäftigt.
Nach Selbstanzeige des Betroffenen vom 28. Januar 2015 erließ das Hauptzollamt C am 11. Februar 2015 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 19 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) und verhängte gegen ihn ein Bußgeld in Höhe von 1.000,00 Euro.
Dem Betroffenen wurde in dem Bußgeldbescheid zur Last gelegt, als Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes in der Zeit ab dem 1. Januar 2015 keine Aufzeichnungen über Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit des bei ihm beschäftigten Arbeitnehmers B geführt zu haben. Entgegen der Auffassung des Betroffenen unterliege sein Betrieb dem betrieblichen, der Arbeitnehmer dem persönlichen Geltungsbereich nach dem AEntG; der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, weil er die Aufzeichnungen trotz Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen nicht geführt habe.
Auf den Einspruch des Betroffenen sprach das Amtsgericht Bielefeld ihn mit Urteil vom 13. Oktober 2015 von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf frei. Das Urteil konnte indes - auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld - wegen eines formellen Mangels keinen Bestand haben.
Mit Beschluss vom 10. Mai 2016 hat das Amtsgericht nunmehr im schriftlichen Verfahren gemäß § 72 OWiG den Betroffenen (erneut) freigesprochen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit ihrer unter dem 19. Mai 2016 eingelegten Rechtsbeschwerde, die mit Zuschrift vom 27. Mai 2016 mit näheren Ausführungen begründet worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld zurückzuverweisen.
Der Betroffene hat mit am 06. Juni 2016 bei dem Amtsgericht Bielefeld eingegangenen Schriftsatz - offenbar irrtümlich auf den 18.04.2016 datiert - unter näheren Ausführungen beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.
II.
Die Sache war dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil es geboten erscheint, die Sachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG.
Die Übertragung auf den Senat ist eine Entscheidung der Einzelrichterin des Senats, Richterin am Oberlandesgericht X.
III.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg.
Ein ordnungswidriges Verhalten des Betroffenen durch Nichtaufzeichnung der Arbeitszeiten seines Arbeitnehmers B ab dem 1. Januar 2015 kann nicht festgestellt werden.
§ 23 Abs. 1 Nr. 8 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 1 oder 2 AEntG kommt vorliegend nicht zur Anwendung; auch ergibt sich ein ordnungswidriger Verstoß gegen eine Aufzeichnungspflicht nicht aus dem Mindestlohngesetz (MiLoG), dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) oder dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG).
Das Arbeitszeitrecht ist in seiner Gesamtheit eine Sammlung einzeln entstandener Regelungen, die im eigentlichen Sinne nicht rechtssystematisch durchkonzipiert, sondern "gewachsen" sind (vgl. Schliemann, Pflichten zur Aufzeichnung v...