Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslieferung. Hindernis. Vollstreckungshilfe. Haftentlassung. Zeitpunkt

 

Leitsatz (amtlich)

Einer Auslieferung steht es nicht entgegen, dass im Urteilsstaat potentiell eine frühere Haftentlassung möglich sein könnte.

 

Normenkette

IRG §§ 55, 77; StGB § 49

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen vom 19. November 2008 - StVK B 1151/08 - hinsichtlich der Ziffer 2. (Festsetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe mit der Möglichkeit der bedingten Entlassung frühestens nach 15 Jahren) aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen, die auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat, zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer, der deutscher Staatsangehöriger ist, verbüßt derzeit in der Justizvollzugsanstalt in Verviers/Belgien eine Freiheitsstrafe in Höhe von 20 Jahren aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Schwurgerichts der Provinz Namur vom 11. Oktober 2006 wegen eines Tötungsdeliktes und der "Entwendung" von 1000,- EUR. Er befindet sich seit seiner Festnahme am 02. Mai 2004 in Belgien ununterbrochen in Haft; in Belgien käme der 31. Dezember 2010 für seine bedingte Entlassung in Frage; das Strafende ist für den 27. April 2024 vorgesehen.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Essen vom 29. Juli 2008 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen durch den angefochtenen Beschluss vom 19. November 2008 zu Ziffer 1. die weitere Vollstreckung der durch den vorgenannten Beschluss des Schwurgerichts der Provinz Namur verhängten Freiheitsstrafe für in der Bundesrepublik Deutschland zulässig erklärt. Ziffer 2. des angefochtenen Beschlusses lautet:

"2.

Es wird eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe festgesetzt, mit der Möglichkeit einer bedingten Entlassung frühestens nach 15 Jahren."

Unter Ziffer 3. hat die Strafvollstreckungskammer ferner bestimmt, dass der in Belgien vollstreckte Teil der Freiheitsstrafe (Strafhaft, Untersuchungshaft) auf die Freiheitsstrafe anzurechnen ist.

Der Beschwerdeführer hat mehrfach erklärt, mit seiner Überstellung in die Bundesrepublik Deutschland nicht einverstanden zu sein. Allerdings liegt gegen ihn eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung der Oberen Ausländerbehörde vom 11. Juli 2007 (Nr. O.E./5462507) vor, die ihm verbietet, binnen zehn Jahren nach Belgien zurückzukehren.

Der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen ist dem Beschwerdeführer im Wege der Rechtshilfe am 17. Februar 2009 in der Justizvollzugsanstalt Verviers/Belgien mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden.

Durch privatschriftliches Schreiben vom 19. Februar 2009, eingegangen beim Landgericht Essen am 24. Februar 2009, sowie durch am selben Tage eingegangenes anwaltliches Schreiben vom 20. Februar 2009 hat der Beschwerdeführer dagegen "Einspruch" beziehungsweise sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, er habe - insbesondere seit seiner Scheidung im August 2008 - keine familiären Kontakte nach Deutschland. Vielmehr sei er in der belgischen Justizvollzugsanstalt sozialisiert, besuche zwei Französisch- und zwei Informatikkurse und arbeite als Hausarbeiter in dem anstaltseigenen Krankenhaus sowie der Anstaltskapelle. Nach seiner Entlassung beabsichtige er, sich im französischsprachigen Raum niederzulassen. Darüber hinaus wird angeführt, nach deutschem Recht komme eine bedingte Entlassung erst am 02. Mai 2019 in Frage, während dies nach belgischem Recht bereits zum 31. Dezember 2010 der Fall sei. Insbesondere unter Berücksichtigung des so genannten Meistbegünstigungsprinzips sei daher die weitere Vollstreckung der durch die belgische Entscheidung verhängten Freiheitsstrafe in Deutschland unzulässig. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Beschwerdeschreiben vom 19 und 20. Februar 2009 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat unter dem 21. April 2009 Stellung genommen und beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 IRG statthafte und gemäß §§ 77 Abs. 1 IRG, 306, 311 Abs. 2 StPO auch im Übrigen zulässige, insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO (zu dessen Anwendbarkeit vergleiche: Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Auflage, § 55 IRG Rn. 3) eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten hat zumindest teilweise einen vorläufigen Erfolg.

Rechtsgrundlage für die Exequaturentscheidung ist das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (Überstellungsübereinkommmen - ÜberstÜbk) vom 21. März 1983, das gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG durch entsprechendes Gesetz vom 26. September 1991 (BGBl. II, 1006) für die Bundesrepublik mit der Bekanntmachung vom 19. ...

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