Leitsatz (amtlich)
1. Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren ergibt sich die Verpflichtung des Tatrichters, rechtzeitig vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist über den mit der Einlegung der Revision gestellten Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu entscheiden.
2. Unterbleibt die Bescheidung des Antrags auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers, führt dies zur Aufhebung eines gleichwohl erlassenen Verwerfungsbeschlusses nach § 346 Abs. 1 StPO.
Verfahrensgang
LG Detmold (Entscheidung vom 13.09.2010; Aktenzeichen 4 Ns 35 Js 726/10 AK: 138/10) |
Tenor
1.
Der Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist wird als unzulässig verworfen.
2.
Der Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer II - erste kleine Strafkammer - des Landgerichts Detmold vom 13. September 2010 wird aufgehoben.
3.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Durch Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Lemgo vom 10. Juni 2010 ist der Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten - ohne Strafaussetzung zur Bewährung - verurteilt worden. Zugleich ist angeordnet worden, dass dem Angeklagten vor Ablauf von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Ferner ist ihm für die Dauer von drei Monaten die Führung von Kraftfahrzeugen jeder Art verboten worden.
Die gegen dieses Urteil gerichtete - auf den Strafausspruch beschränkte - Berufung des Angeklagten hat die erste kleine Strafkammer II des Landgerichts Detmold durch Urteil vom 27. Juli 2010 verworfen. Gegen dieses ihm am 4. August 2010 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit Schreiben vom 30. Juli 2010, eingegangen bei dem Landgericht Detmold am 2. August 2010, Revision eingelegt und zugleich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 13. September 2010 hat der Kammervorsitzende die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen, da diese nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet worden sei.
Gegen diesen ihm am 15. September 2010 zugestellten Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seinem "Widerspruch", den er mit näheren Ausführungen begründet hat und der am 20. September 2010 bei dem Landgericht Detmold eingegangen ist.
II.
1.
Die als "Widerspruch" bezeichnete, am 20. September 2010 bei dem Landgericht Detmold eingegangene Zuschrift des Angeklagten ist gemäß § 300 StPO als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auszulegen. Dieser Antrag ist zwar innerhalb der Wochenfrist des
§ 45 Abs. 1 S. 1 StPO gestellt worden, er enthält aber kein Vorbringen, das ein Verschulden des Angeklagten bei der rechtzeitigen Wahrnehmung der Revisionsbegründungsfrist ausschließt. Der Angeklagte führt lediglich aus, dass er zurzeit eine lebenswichtige Behandlung durchführen müsse; dass ihn diese Behandlung an der Begründung der Revision ggf. zu Protokoll der Geschäftsstelle oder der Beauftragung eines Rechtsanwalts gehindert hätte, ist nicht ersichtlich.
Der Antrag ist deshalb als unzulässig zu verwerfen.
2.
Der nach § 346 Abs. 2 S. 1 StPO zulässige Antrag des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Detmold vom 13. September 2010. Zwar hat der Angeklagte die Frist zur Begründung der Revision gemäß § 345 Abs. 1 S. 2 StPO, die nach Zustellung des Urteils am 4. August 2010 am 6. September 2010 endete, versäumt. Dies geschah indes ohne Verschulden des Angeklagten (§ 44 Abs. 1 S. 1 StPO), weil über seinen bereits mit der Revisionseinlegung gestellten Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entschieden worden ist (vgl. KK-Maul, StPO, 6. Aufl., § 44 Rdnr. 27; OLG Hamm, MDR 1976, 1038; BayObLG, NStZ 1995, 300).
Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren und aus seinem Anspruch auf rechtliches Gehör ergab sich die Verpflichtung des Landgerichts, vor Verwerfung der Revision über den Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO zu entscheiden. Der Senat ist - in Übereinstimmung mit der o.g. früheren Rechtsprechung des OLG Hamm und der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts - der Auffassung, dass in der gegebenen Konstellation ein Angeklagter darauf vertrauen darf, dass so rechtzeitig über den Beiordnungsantrag entschieden wird, dass der Angeklagte ggf. noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entweder selbst einen Verteidiger beauftragen oder die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären kann (vgl. auch BayObLG, StV 1988, 332).
Da die Nachholung der versäumten Handlung - die Einreichung der Revisionsbegründungsschrift - bislang nicht erfolgt ist und dem Angeklagten auch nicht zumutbar war, kommt die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen - vorerst - nicht in Betracht. Das Gebot der Einhal...