Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristetes Verbleiben eines afghanischen kriegsverletzten Kindes in der Pflegefamilie trotz Rückkehrwunsches der leiblichen Eltern
Leitsatz (amtlich)
Es kann zum Wohl des Kindes im Einzelfall geboten sein, ein afghanisches Mädchen, das von einer Hilfsorganisation mit lebensgefährlichen Kriegsverletzungen zur Behandlung nach Deutschland geholt worden ist, hier mehr als 4 Jahre verbleibt und seit ca. 3 Jahren in einer Familienpflege lebt, trotz guten Heilungsverlaufs nicht in sein Heimatland zurückzuführen, sondern es gegen den Willen der leiblichen Eltern in der bisherigen Familienpflege – zunächst befristet für einen gewissen Zeitraum – zu belassen.
Verfahrensgang
AG Hamm (Aktenzeichen 32 F 192/02) |
Nachgehend
Tenor
Es wird angeordnet, dass das Kind G. bis zum 31.12.2006 in der Familienpflege des Antragstellers verbleibt.
Die Gerichtskosten und die gerichtlichen Auslagen werden gegeneinander aufgehoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 3) und seine Ehefrau sind die Pflegeeltern des am 27.8. 1992 geborenen, aus Afghanistan stammenden Kindes G., das am 19.9.1999 von dem Beteiligten zu 2) – einer Hilfsorganisation zur ärztlichen Betreuung von Kindern in Kriegs- und Krisengebieten – zur medizinischen Versorgung und Behandlung einer schweren und in ihren Auswirkungen lebensbedrohenden Beinverletzung (chronische Tibia-Osteomyelitis = Knochenentzündung des rechten Schienbeins) nach Deutschland geholt und hier in ein Krankenhaus in T./Thüringen verbracht wurde, in dem die Ehefrau des Beteiligten zu 3) zum damaligen Zeitpunkt als Krankenschwester tätig war.
Mit Beschluss des AG Hamm vom 28.9.1999 (33 F 263/99) wurde gem. § 1674 BGB das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt und die Beteiligte zu 1) im Rahmen einer Vereinsvormundschaft zum Vormund für G. bestellt. Diese lebt nach Vortrag des Beteiligten zu 3) seit dem 21.1.2000 in seiner Familie und besucht mittlerweile die 5. Klasse einer örtlichen Regelschule.
Der Beteiligte zu 3) hat im vorliegenden Verfahren vor dem Hintergrund einer seinerzeit anstehenden ärztlichen Untersuchung in C. – zunächst im Wege einstweiliger Anordnung – den Erlass einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB beantragt und zur Begründung darauf verwiesen, es bestehe die Befürchtung, dass G. von dem Beteiligten zu 2) ohne sachliche Notwendigkeit oder Rechtfertigung aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen werden solle, obwohl die Behandlung des Kindes noch nicht abgeschlossen sei. Es sei zudem nicht auszuschließen, dass eine Rückführung des Kindes nach Afghanistan geplant sei, was wegen des noch nicht abgeschlossenen Heilungsprozesses einerseits sowie der dortigen hygienischen Verhältnisse andererseits für das Kind den sicheren Tod bedeuten würde. Hinzu komme, dass das Kind durch das in Afghanistan Erlebte weiterhin traumatisiert sei.
Der Beteiligte zu 2) ist dem Antrag entgegengetreten. Er hat auf die seines Erachtens schon aus grundsätzlichen Erwägungen gebotenen Notwendigkeit einer Rückführung in seiner Obhut behandelter Kinder nach Abschluss der Heilbehandlung verwiesen und weiter vorgetragen, derzeit stehe eine Rückführung G.s allerdings überhaupt noch nicht in Rede, vielmehr sei – so der Stand im Jahr 2002 – vorläufig nur die Vorstellung des Kindes zum Zwecke einer ärztlichen Untersuchung in einer C. Spezialklinik beabsichtigt.
Das AG Sonneberg/Thüringen hat durch Beschluss vom 10.4.2002 ohne vorherige Anhörung der Beteiligten die beantragte einstweilige Anordnung erlassen und das Verfahren anschließend an das AG Hamm abgegeben.
Das AG Hamm hat nach Anhörung der Beteiligten sowie Vernehmung des Zeugen Dr. med. L. (vgl. Protokoll vom 21.6.2002, Bl. 68 f. GA) den Beschluss vom 10.4.2002 mit Beschluss vom 5.7.2002 wegen fehlender Eilbedürftigkeit aufgehoben und sodann nach im Wege der Amtshilfe durch das AG Sonneberg erfolgter Anhörung des Kindes durch den angefochtenen Beschluss vom 10. 10.2002 den Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnung auch in der Hauptsache zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, eine Gefährdung des Kindeswohls bei Herausnahme G.s aus der Familie des Beteiligten zu 3) zum Zwecke ihrer Rückführung nach Afghanistan sei nicht erkennbar.
Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 3) mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er seinen Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnung unter weitgehender Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrags weiterverfolgt. Er rügt die fehlende Einholung eines Sachverständigengutachtens und führt ergänzend aus, nachdem die für April 2002 geplante Untersuchung des Kindes in C. nicht zustande gekommen sei, sei derzeit völlig offen, ob neben persönlichen nicht auch gesundheitliche Gründe für einen weiteren Verbleib des Kindes in Deutschland sprächen.
Der Beteiligte zu 2) verteidigt dagegen den angefochtenen B...