Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt genügt der von ihm geforderten üblichen Sorgfalt jedenfalls dann nicht mehr, wenn er dieselbe Kanzleikraft, die zuvor weisungswidrig den falsch adressierten und von ihm unterzeichneten fristgebundenen Schriftsatz gefertigt hat, anweist, einen korrigierten Schriftsatz zu erstellen, diesen ihm zur Unterschrift vorzulegen und anschließend an das dort aufgeführte Gericht zu übersenden, ohne die Durchführung dieser Weisung durch weitere Maßnahmen abzusichern (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 22.07.2015 - XII ZB 583/14 -).
2. Dies gilt insbesondere, wenn der Rechtsanwalt die Kanzleikraft anweist, den korrigierten Ausdruck des Schriftsatzes nicht ihm selbst, sondern einem Sozietätskollegen zur Unterschrift vorzulegen, weil er selbst für den Rest des Tages außer Haus ist.
Normenkette
FamFG § 113 I; ZPO § 233
Verfahrensgang
AG Marl (Aktenzeichen 15 F 88/17) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 18.09.2019 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Marl (Az. 15 F 88/17) wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
2. Der Antrag des Antragsgegners auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 65.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten sind geschiedene Ehegatten und streiten um Nachscheidungsunterhalt.
Mit seinem am 18.09.2019 verkündeten und dem Antragsgegner über seine Verfahrensbevollmächtigten am 11.10.2019 zugestellten Beschluss hat das Amtsgericht - Familiengericht - Marl den Antragsgegner - unter Zurückweisung des Antrags im Übrigen - verpflichtet, ab Rechtskraft der Scheidung bis einschließlich März 2025 an die Antragstellerin Nachscheidungsunterhalt in Höhe von 1.165,00 EUR monatlich zu zahlen.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner mit dem am 11.11.2019 vorab per Fax beim Oberlandesgericht Hamm eingegangenen Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 08.11.2019 Beschwerde eingelegt. Der Berichterstatter des Senats hat die Beteiligten daraufhin mit Verfügung vom 05.12.2019, welche dem Antragsgegner am 11.12.2019 über seine Verfahrensbevollmächtigten zugestellt worden ist, unter Verweis auf § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG darauf hingewiesen, dass die unmittelbar beim Oberlandesgericht eingelegte Beschwerde unzulässig ist.
Bereits zuvor, nämlich mit dem am 09.12.2019 vorab per Fax beim Amtsgericht - Familiengericht - Marl eingegangenen und sodann an das Oberlandesgericht weitergeleiteten Schriftsatz vom selben Tage hat der Antragsgegner nochmals Beschwerde eingelegt und zugleich die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist beantragt. Zur Begründung hat er - gestützt auf die entsprechende eidesstattliche Versicherung der Kanzleimitarbeiterin Frau H - im Wesentlichen ausgeführt, Frau H habe den Entwurf der Beschwerdeschrift auftragsgemäß am 08.11.2019 nach elektronischem Diktat gefertigt und seiner Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwältin, am Vormittag des 11.11.2019 zur Prüfung, Freigabe und Unterzeichnung in die hierfür vorgesehene Postmappe gelegt. Im Rahmen der Postausgangskontrolle und Unterzeichnung der sich in der Postmappe befindlichen Schriftstücke sei Rechtsanwältin B unmittelbar nach Unterzeichnung aufgefallen, dass der Beschwerdeschriftsatz fälschlicherweise an das Oberlandesgericht Hamm als Beschwerdegericht adressiert worden sei. Sie habe diesen Schriftsatz sodann zusammen mit einem weiteren Schriftsatz und einer Rechnung, welche zunächst als Entwurf gefertigt worden sei, aus der Postmappe genommen und beide Schriftstücke Frau H übergeben. Hierbei habe sie sie persönlich angewiesen, zum einen den Adressaten zu korrigieren und den Beschwerdeschriftsatz anschließend einem Kollegen zur Prüfung und Unterzeichnung vorzulegen. Zum anderen habe sie Frau H angewiesen, die im Entwurf vorbereitete Rechnung fertig zu stellen. Frau H habe diese Arbeitsanweisungen unmittelbar und im Beisein von Rechtsanwältin B individuell auf Post-it-Klebezettel notiert, welche sie auf dem Beschwerdeschriftsatz und der im Entwurf gefertigten Rechnung angebracht habe. Rechtsanwältin B selbst sei nach der vorgeschriebenen Rücksprache mit Frau H für den weiteren Tag außer Haus gewesen.
Frau H habe daraufhin zunächst die Korrektur der Rechnung vorgenommen und ausgedruckt. Im Anschluss habe sie die Adressatenänderung auf der Beschwerdeschrift vorgenommen und ebenfalls ausgedruckt. Sodann habe sie die Schriftstücke aus dem Drucker entnommen und sie zur Weiterverarbeitung auf ihren Schreibtisch gelegt. Bei der Ausfertigung der alten Schriftstücke sei ihr dann allerdings ein Fehler unterlaufen. Sie habe nicht die ursprüngliche, falsch adressierte Beschwerdeschrift aussortiert, sondern die neu ausgedruckte, zutreffend adressierte Version. Diese habe sie sodann entsorgt. Im Anschluss habe sie die Rechnung sowie die ursprüngliche Version der Beschwerdeschrift in die Post...