Leitsatz (amtlich)

Hält sich der Betroffene für längere Zeit im Ausland auf, ist für die Frage, ob das als Entschuldigung für seine Abwesenheit im Hauptverhandlungstermin des Bußgeldverfahrens entscheidend, ob dem Betroffenen die kurzzeitige Unterbrechung seines Auslandsaufenthaltes und die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland vor dem eigentlich geplanten Rückkehrtermin zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung hätten zugemutet werden können.

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendrichter - Lübbecke zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Landrat des Kreises N verhängte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 12. Januar 2011 wegen (fahrlässigen) Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG) eine Geldbuße von 500 EUR und ordnete ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat an. Nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid hatte der damals 20 Jahre alte Betroffene am 15. August 2010 in T im öffentlichen Straßenverkehr einen Pkw unter dem Einfluss von Cannabis geführt.

In der Hauptverhandlung am 27. Mai 2011 verwarf der Jugendrichter den Einspruch des nicht erschienenen und auch nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen unter Hinweis auf § 74 Abs. 2 OWiG.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Das Rechtsmittel hat mit der sich bei verständiger Auslegung (§§ 46 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 300 StPO) aus dem Rechtsbeschwerdevorbringen ergebenden Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG (vorläufig) Erfolg. Die weiteren Rügen bedürfen daher keiner Erörterung.

Der Betroffene rügt unter Wahrung der Begründungsanforderungen nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mit Erfolg, dass das Amtsgericht zu Unrecht vom Fehlen einer genügenden Entschuldigung im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG für sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung ausgegangen ist.

1. Der Verteidiger des Betroffenen hatte dem Amtsgericht vor und in der Hauptverhandlung dargelegt, dass sich der Betroffene seit dem 29. November 2010 bis voraussichtlich November 2011 ununterbrochen im Rahmen eines "Studienförderprogrammes" ("Working Holiday") zunächst in Neuseeland und seit dem 6. Mai 2011 in Australien aufhalte, und Dokumente (Ausdruck des elektronischen Einreisevisums des Königreichs Neuseeland, Passkopie mit neuseeländischem und australischem Einreisestempel) zum Beweis seines Vorbringens vorgelegt.

2. Dieses Vorbringen, an dessen Richtigkeit der Senat aufgrund der von dem Verteidiger vorgelegten Unterlagen keinen Zweifel hat, stellt in der vorliegenden Fallkonstellation - entgegen der in den Gründen des angefochtenen Urteils nur mit dem Satz "ein langfristiger Aufenthalt von einem Jahr Dauer in Australien/Neuseeland stellt keinen Entschuldigungsgrund dar" begründeten Auffassung des Amtsgerichts - eine genügende Entschuldigung im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG dar.

a) Eine genügende Entschuldigung liegt vor, wenn dem Betroffenen das Erscheinen in der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Umstände und der Bedeutung der Sache nicht zumutbar oder nicht möglich ist (OLG Hamm, VRS 56, 156; Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 15. Aufl. [2009], § 74 Rdnr. 29). Bei der Beurteilung des vorliegenden Falles ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene sich nicht nur zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, sondern bereits am Tag des Erlasses des Bußgeldbescheides in Neuseeland bzw. Australien aufhielt. Für die Prüfung der Möglichkeit oder Zumutbarkeit des Erscheinens in der Hauptverhandlung kommt es damit nicht - wie in den häufig vorkommenden Fällen einer Terminskollision zwischen der Hauptverhandlung und einer (kurzen) Urlaubsreise (vgl. hierzu OLG Hamm, BeckRS 2005, 07058) - primär darauf an, ob für den Betroffenen eine Verlegung seiner Reise möglich oder zumutbar gewesen wäre; entscheidend ist vielmehr, ob dem Betroffenen die kurzzeitige Unterbrechung seines Auslandsaufenthaltes und die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland vor dem eigentlich geplanten Rückkehrtermin zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung hätten zugemutet werden können (OLG Celle, BeckRS 2011, 26738). Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der - vor allem finanzielle - Aufwand für eine Rückreise außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und weder unter dem Gesichtspunkt eines drohenden Verlustes von Beweismitteln noch unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Verfolgungsverjährung eine Hauptverhandlung vor dem geplanten Termin der Rückkehr nach Deutschland erforderlich ist. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, NJW 1994, 1748. Dort war der Grund für das Fernbleiben nicht - wie hier - ein von vornherein befristeter Auslandsaufenthalt, sondern ein Auslan...

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