Leitsatz (amtlich)
1. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Berufung wegen Ausbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin verworfen worden ist.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die Revision durch die Rüge materiellen Rechts bereits formgerecht im Sinne von § 345 Abs. 1 StPO begründet worden ist.
Verfahrensgang
LG Bochum (Entscheidung vom 08.05.2006) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
2. Das Wiedereinsetzungsgesuch wird auf Kosten des Angeklagten zurückgewiesen.
3. Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Recklinghausen hat den mehrfach vorbestraften und zuletzt wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Bewährungsstrafe in Höhe von zwei Jahren verurteilten Angeklagten am 1. Dezember 2005 wegen Betruges (erneut) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung das Amtsgericht nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt hat. Die dagegen eingelegte Berufung hat die Auswärtige Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum durch Urteil vom 20. März 2006 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben war. Nach Beginn der Berufungshauptverhandlung um 11.00 Uhr teilte der Angeklagte nämlich um 11.10 Uhr durch Vermittlung der Geschäftsstelle dem Vorsitzenden Richter fernmündlich mit, dass er statt zum Amtsgericht Recklinghausen, dem Sitz der Auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum, zum Landgericht Bochum gefahren sei. Dennoch erschien der Angeklagte bis um 12.03 Uhr nicht, obwohl er von dem Vorsitzenden in dem Telefonat darauf hingewiesen worden war, dass mit dem Beginn der Berufungshauptverhandlung bis 12.00 Uhr zugewartet werde und die Strecke von Bochum nach Recklinghausen mit einem PKW bzw. Taxi binnen 20 Minuten zu bewältigen ist.
Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 22. März 2006, der per Fax am 23. März 2006 bei der Auswärtigen Strafkammer eingegangen ist, hat der Angeklagte um Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung nachgesucht und gleichzeitig "für den Fall der Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung" das Rechtsmittel der Revision gegen das Verwerfungsurteil eingelegt. Dieses hat der Angeklagte auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützt und gleichzeitig zur Begründung der formellen Rüge die Gewährung von Akteneinsicht beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuches hat der Angeklagte vorgetragen, er habe sich nach Beendigung des Telefonats mit dem Vorsitzenden sofort auf den Weg nach Recklinghausen gemacht. Allerdings habe er nur über vier Euro Bargeld verfügt und sei deshalb nicht in der Lage gewesen, ein Taxi für diese Fahrt zu bestellen. Mit "der Bahn" sei er sodann nach Gelsenkirchen gefahren, wo ihm dann weiteres Geld gefehlte habe, um mit "der Bahn" von Gelsenkirchen nach Recklinghausen zu fahren. Erst gegen 13.30 Uhr sei sein Bruder in der Lage gewesen, ihn mit einem PKW in Gelsenkirchen abzuholen. Gemeinsam mit dem Bruder und dem Zeugen R. sei er so in Recklinghausen eingetroffen und habe sich auf der Geschäftsstelle gemeldet. Hier sei ihm mitgeteilt worden, dass das Verfahren bereits abgeschlossen sei. Zum Zwecke der Glaubhaftmachung dieses Sachverhaltes hat der Angeklagte die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Zeugen R. angekündigt, die jedoch bis heute nicht vorliegt.
Das schriftliche Versäumnisurteil wurde der Verteidigerin des Angeklagten sodann unter dem 3. April 2006 zugestellt. Zur Frage der genügenden Entschuldigung im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO ist in diesem Urteil Folgendes ausgeführt:
"Den Angeklagten entschuldigt nicht, dass er versehentlich zum Landgericht Bochum gefahren ist. Seine Ladung hat einen ausdrücklichen Hinweis auf die Auswärtige Strafkammer in Recklinghausen enthalten. Auf seinen telefonischen Anruf um 11.10 Uhr hat die Kammer den Verhandlungsbeginn auf 12.00 Uhr verlegt. Auch den hat der Angeklagte verpasst, obwohl die Strecke mit dem PKW in 20 Minuten zu schaffen ist."
Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 3. Mai 2006, der am selben Tag per Fax bei der Strafkammer eingegangen ist, hat der Angeklagte die Revision erneut mit der Verletzung materiellen und formellen Rechts begründet. Dabei hat er im wesentlichen unter Wiederholung des bereits im Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragenen Sachverhalts die formelle Rüge mit einer Verletzung des § 329 StPO begründet und dazu die Ansicht vertreten, dass bei diesem Sachverhalt, einer gebotenen weiten Auslegung zugunsten des Angeklagten und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei dem Angeklagten um einen juristischen Laien handele, ein Verwerfungsurteil im Sinne von § 329 StPO nicht gerechtfertigt gewesen sei.
Bis zu diesem Zeitpunkt war der Verteidigerin des Angeklagten die zur Begründung der formellen Rüg...