Entscheidungsstichwort (Thema)
Herausgabe an leibliche Eltern
Leitsatz (redaktionell)
Voraussetzungen einer vom Gericht angeordneten Herausgabe des Kindes von den Pflegeeltern an seine leiblichen Eltern
Normenkette
BGB § 1632 Abs. 1, 4
Verfahrensgang
AG Lübbecke (Beschluss vom 12.11.2008; Aktenzeichen 5 F 342/07) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) wird der Beschluss des AG Familiengericht Lübbecke vom 12.11.2008 abgeändert:
Den Beteiligten zu 3) und 4) wird aufgegeben, das am ...2006 geborene Kind X X1 an die Beteiligten zu 1) und 2) bis spätestens zum 31.1.2010 herauszugeben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 3.000 EUR.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist der Verbleib des Kindes X X1 (geb. am 25.7.2006 - jetzt 3 Jahre alt).
Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die gemeinsam sorgeberechtigten nicht verheirateten Eltern des genannten Kindes; die Beteiligten zu 3) und 4) sind dessen Pflegeeltern, bei denen sich das Kind in der Familienpflege befindet.
Im September und Oktober 2007 kam es zu zwei Krankenhausaufenthalten des Kindes. Bei dem zweiten Krankenhausaufenthalt entstand aufgrund lebensbedrohlicher Kopfverletzungen der Verdacht, dass X an einem "battered-child-Syndrom" litt. Die beim ersten Krankenhausaufenthalt behandelten Oberschenkelverletzungen wurden nachträglich auf gewaltsame Verdrehungen zurückgeführt.
Die Eltern haben eine Misshandlung verneint. Die Mutter hat die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass ihre Eltern oder Schwiegereltern, bei denen X gelegentlich übernachtet habe, die Verletzungen verursacht haben könnten; auch sei nicht auszuschließen, dass es zu den Verletzungen beim ersten Krankenhausaufenthalt gekommen sei.
Das gegen die Beteiligten zu 1) und 2) eingeleitete Strafverfahren wurde eingestellt.
Nachdem sich X zunächst in Kurzzeitpflege befunden hatte, lebt er seit Februar 2007 bei den Beteiligten zu 3) und 4).
Die Beteiligten zu 1) und 2) haben zwischenzeitlich noch eine Tochter (Y, geb. am ...2008 - jetzt 1 ½ Jahre alt) bekommen, die bei ihnen lebt.
Das AG hat ein Gutachten des Prof. Dr. P eingeholt und auf dessen Grundlage den Verbleib von X bei den Pflegeeltern angeordnet.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2), mit der sie Herausgabe von X an sich oder hilfsweise an die Eltern des Beteiligten zu 2) beantragen. Sie bemängeln insbesondere, dass das Gutachten des Prof. Dr. P sie als Eltern und auch die Großeltern nicht einbezogen habe.
Die Beteiligten zu 3) und 4) beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Verfahrenspflegerin und die Vertreter des Jugendamtes befürworten einen Verbleib von X im Haushalt der Pflegeeltern.
Der Senat hat ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P eingeholt und den Sachverständigen zu dessen näherer Erläuterung angehört.
II.1. Die getroffene Entscheidung beruht auf § 1632 Abs. 1 BGB.
Die Voraussetzungen für eine "Verbleibensanordnung" nach § 1632 Abs. 4 BGB liegen nicht vor.
2. Bei Anwendung des § 1632 Abs. 4 BGB ist Folgendes zu beachten:
Kommt es zu einer Kollision zwischen den Interessen der Eltern an einer Herausgabe des Kindes und den Interessen des Kindes und des Kindeswohls, so verlangt die Verfassung eine Auslegung der Regelung, die sowohl der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung trägt als auch den Grundrechten der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 und 3 GG (BVerfG FamRZ 2004, 771 f.). Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die ebenfalls durch Art. 6 Abs. 2 und 3 GG geschützten Interessen der Pflegeeltern (BVerfG FamRZ 2000, 1489 f.).
Im Einzelnen führt das BVerfG in seiner Entscheidung vom 23.8.2006 ("Hammer Forum, Verbleibensanordnung", FamRZ 2006, 1593) unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung aus: "Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, wobei dieses natürliche Recht den Eltern nicht vom Staat verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet. In der Beziehung zum Kind muss das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein.
Eine gerichtliche Entscheidung, nach der die Trennung des Kindes von seinen Eltern fortdauern kann, ist mit dem in Art. 6 Abs. 2 und 3 GG gewährleisteten Elternrecht nur dann vereinbar, wenn ein überwiegendes auch unverschuldetes Fehlverhalt...