Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde. sitzungspolizeiliche Anordnung. Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts. Eingriff in die Pressefreiheit. Abwägung von Foto- und Filmaufnahmen in Verhandlungspausen. nach Sitzungsende. Unkenntlichmachen der Verfahrensbeteiligten
Leitsatz (amtlich)
Die sitzungspolizeiliche Anordnung eines Kammervorsitzenden gemäß § 176 GVG ist mit der Beschwerde gemäß § 304 StPO anfechtbar, wenn durch die Anordnung Rechtspositionen eines Betroffenen über die Hauptverhandlung hinaus dauerhaft berührt und beeinträchtigt werden. In der Sache überprüft das Beschwerdegericht eine gemäß § 176 GVG angeordnete Maßnahme nur darauf, ob die Anordnung einen zulässigen Zweck verfolgt, verhältnismäßig ist und der Vorsitzende sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Stellt die Anordnung einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit dar, muss der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgeblichen Gründe offenlegen und dadurch für die Betroffenen erkennen lassen, dass er die betroffenen Rechtsgüter und gegenläufigen Interessen der Beteiligten - einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, die Gewährleistung der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung - in die Abwägung eingestellt hat. Eine notwendige Begründung kann in der Nichtabhilfeentscheidung nachgeholt werden. In dem zu beurteilenden Fall hat der Kammervorsitzende zulässigerweise angeordnet, dass - bei fehlendem Einverständnis der Verfahrensbeteiligten - Foto- und Filmaufnahmen in den Verhandlungspausen und nach der Hauptverhandlung (nur) im Foyer vor dem Sitzungssaal gestattet sind und dass der Angeklagte und die Nebenkläger bei der Veröffentlichung der Aufnahmen unkenntlich zu machen sind.
Normenkette
GG Art. 5; GVG § 176; StPO § 304
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 56 KLs 11/17) |
Tenor
- Die Beschwerde wird, soweit ihr der Vorsitzende der XXI. großen Strafkammer nicht durch Beschluss vom 23. November 2017 abgeholfen hat, als unbegründet verworfen.
- Der Antrag, die Vollziehung der angefochtenen Anordnungen auszusetzen, ist gegenstandslos.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich ihrer notwendigen Auslagen tragen die Beschwerdeführerinnen.
Gründe
I.
Das zugrundeliegende Verfahren, welches regional, aber auch überregional hohe mediale Aufmerksamkeit gefunden hat, betrifft den Verantwortlichen einer Onkologie-Schwerpunktapotheke. Die Staatsanwaltschaft Essen hat am 11. Juli 2017 Anklage vor der XXI. großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Essen gegen den Angeklagten erhoben. Ihm wird vorgeworfen, in der Zeit vom 01. Januar 2012 bis zum 29. November 2016 in C, E und andernorts durch 61.980 selbständige Handlungen entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AMG gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe hergestellt, in den Verkehr gebracht oder sonst mit ihnen Handel getrieben zu haben, die zugleich durch Abweichungen von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert waren, wobei er gewerbsmäßig gehandelt und aus grobem Eigennutz für sich oder einen anderen Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangt haben soll. In 27 der vorgenannten Fälle soll er tateinheitlich dazu versucht haben, eine andere Person an der Gesundheit zu schädigen. Durch 59 weitere selbständige Handlungen soll er in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch geschädigt haben, dass er durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregte, wobei er gewerbsmäßig gehandelt und einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt haben soll. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Anklageschrift vom 11. Juli 2017 Bezug genommen. Mit Beschluss vom 04. Oktober 2017 hat die XXI. Strafkammer des Landgerichts Essen die Anklage der Staatsanwaltschaft Essen zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 13. November 2017 begonnen. Dreizehn weitere Fortsetzungstermine sind bis zum 15. Januar 2018 bestimmt.
Die Beschwerdeführerinnen sind die B SE - ein Medienunternehmen und die Verlegerin mehrerer Zeitungen, darunter der bundesweit verbreiteten Tageszeitung "C2" - und die C2 GmbH & Co. KG als Betreiberin des journalistisch-redaktionellen Internetangebotes "www.####.de". Beide Beschwerdeführerinnen haben über das Ermittlungs- und das begonnene Hauptverfahren umfänglich berichtet. Sie wenden sich vorliegend gegen die Ziffern IV. Nr. 3 und Nr. 5 der sitzungspolizeilichen Anordnung des Vorsitzenden der XXI. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 02. November 2017, mit der die Fertigung von Foto- und Filmaufnahmen eingeschränkt wird. Diese den Medienvertretern am 13. November 2017 im Sitzungssaal ausgehändigte Verfügung hat - soweit für das Beschwerdeverfahren relevant -folgenden Inhalt:
"IV.
3. In den Verhandlungspausen und nach der Hauptverhandlung
In den Verhandlungspausen...