Leitsatz (amtlich)

1. Von einem Vorfahrtsverzicht ist nur auszugehen, wenn der Berechtigte den Verzichtswillen in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringt.

2. Allein aus dem Umstand, dass der Berechtigte an der Kreuzung abgestoppt hat, lässt sich kein Vorfahrtsverzicht ableiten, zumindest wenn dies auf dem Umstand beruht, dass der Berechtigte seinerseits anderen Verkehrsteilnehmern Vorfahrt gewähren müsste.

3. Eine Mithaftung unter dem Gesichtspunkt "halbe Vorfahrt" kommt nur in Betracht, wenn der Zusammenstoß durch eine zu hohe Geschwindigkeit des Vorfahrtsberechtigten mitverursacht worden ist.

 

Normenkette

StVO § 11 Abs. 3 HS 2, §§ 8, 11 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 4 O 315/17)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12.03.2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen (Az. 4 O 315/17) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 14.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO wird wegen der tatsächlichen Feststellungen auf diejenigen im angefochtenen Urteil und die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 24.07.2018 Bezug genommen.

Mit vorgenanntem einstimmig gefasstem Beschluss hat der Senat auf seine Absicht, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, hingewiesen.

Hierzu hat die Klägerin innerhalb der verlängerten Frist mit Schriftsatz vom 06.09.2018 ergänzend Stellung genommen.

II. Die Berufung des Klägers unterliegt gemäß § 522 Abs. 2 ZPO wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht und des Fehlens der Voraussetzungen der Nummer 2 und 3 des § 522 Abs. 2 ZPO nach einstimmigem Votum des Senats der Zurückweisung, ohne dass es der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung bedarf.

Zur Begründung wird zunächst vollumfänglich auf den Beschluss des Senats vom 24.07.2018 verwiesen. Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 06.09.2018 rechtfertigen keine andere Beurteilung.

1. Insbesondere ist daran festzuhalten, dass die Klägerin entgegen ihrer Verpflichtung aus § 8 Abs. 1 S. 1 StVO das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 2) verletzt hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Senat ausreichend berücksichtigt, dass es sich um eine T-Einmündung handelte.

§ 8 Abs. 1 StVO regelt die Vorfahrt an Kreuzungen und Einmündungen. Dabei ist eine Straßeneinmündung jedes - rechtwinklige oder schräge - Zusammentreffen zweier oder mehrerer Straßen mit nur einer Straßenfortsetzung (sog. T-Kreuzung) (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn. 11 - juris; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, § 8 Rn. 34.). Eine einfache T-Kreuzung - wie sie auch hier vorliegt - stellt somit einen der typischen von § 8 Abs. 1 StVO umfassten Fälle dar. Zudem ereignete sich der gegenständliche Unfall in einer verkehrsberuhigten Zone mit guten Sichtverhältnissen. Besondere Erschwernisse bei der Beurteilung der Frage nach dem Vorfahrtsrecht ergeben sich aus der Art der zu beurteilenden Verkehrsführung sowie der konkreten vorliegenden Gegebenheiten daher gerade nicht.

2. Ein Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 2) ist dagegen nicht festzustellen.

a) Allein das Anhalten des Beklagten zu 2) durfte die Klägerin - wie bereits in dem Senatsbeschluss vom 24.07.2018 ausgeführt - nicht in der Weise auslegen, dieser habe auf das ihm zustehende Vorfahrtsrecht verzichtet. Das Anhalten des Beklagten zu 2) erklärte sich - auch für die Klägerin - aus der dem Beklagten zu 2) obliegenden Pflicht, sich seinerseits hinsichtlich des ihm gegenüber bevorrechtigten Verkehrs vergewissern zu müssen, und nicht vor dem Hintergrund, gegenüber der Klägerin auf sein eigenes Vorfahrtsrecht verzichten zu wollen. So hat es der hinter der Klägerin befindliche Zeuge y auch ohne weiteres verstanden und sein Fahrzeug im Gegensatz zu der Klägerin daher angehalten.

b) Soweit die Klägerin im Weiteren der Auffassung ist, die konkreten Umstände - Anhalten des Beklagten zu 2) an einer nach ihrer Ansicht rege befahrenen, recht kleinen Kreuzung mit damit einhergehenden Unsicherheiten über die Reihenfolge der Fahrrechte - hätten unter Berücksichtigung verkehrsstatistischer Daten zur Häufigkeit der Ursächlichkeit von Vorfahrtsverletzungen für Unfälle den Beklagten zu 2) in der Gesamtschau erkennen lassen müssen, dass sein Fahrverhalten als Vorfahrtsverzicht missdeutet werden könne, weswegen er die Fortsetzung seiner Fahrt hätte zurückstellen müssen, ist dieser Auffassung eine Absage zu erteilen. Es war nämlich in erster Linie an der Klägerin, sich von dem Vorliegen der Voraussetzungen für ein ihr ausnahmsweise, von der Regel des § 8 StVO abweichendes Recht, zuerst fahren zu dürfen, in aller Eindeutigkeit zu vergewissern. Gerade, wenn sich die Klägerin über den Vorfahrtsverzicht unsicher war, war sie als Wartepflichtige gehalten, sich ebenso wie der Zeuge y verhalten und anzuhalten, statt ohne sich...

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