Leitsatz (amtlich)

Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen im Bußgeldverfahren können dazu führen, dass in entsprechender Anwendung der für das Strafverfahren entwickelten Vollstreckungslösung das angeordnete Fahrverbote (teilweise) als vollstreckt gilt.

 

Verfahrensgang

AG Bielefeld (Aktenzeichen 10 OWi 54 Js 2763/08 (1627/08))

 

Tenor

Die Sache wird dem 3. Senat für Bußgeldsachen in der Besetzung mit

3 Richtern übertragen, da es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§ 80 a Abs. 3 OWiG).

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von dem angeordneten

einmonatigen Fahrverbot eine Woche als vollstreckt gilt.

 

Gründe

I.

Der Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. Januar 2010 wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage - Rotphase länger als 1 Sekunde - mit einer Geldbuße von 200,- Euro belegt. Daneben wurde ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Hiergegen erhob der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. Januar 2010 Rechtsbeschwerde, die beim Amtsgericht Bielefeld am selben Tage per Fax einging. Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 1. März 2010 - dessen Vollmacht sich nicht bei der Akte befindet -, begründete dieser die Rechtsbeschwerde mit weiterem Schriftsatz vom 10. März 2010 mit näheren Ausführungen zur Verletzung formellen und materiellen Rechts. Nachdem die Akte am 30. März 2010 mit einer vorläufigen Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. März 2010 beim Oberlandesgericht in Hamm einging, wurde das Verfahren zwecks erneuter - ordnungsgemäßer - Zustellung des Urteils an das Amtsgericht Bielefeld zurückgeleitet. Mit Verfügung des zuständigen Amtsrichters vom 14. April 2010 wurde das Urteil am 17. April 2010 an den Betroffenen mit Zustellungsurkunde zugestellt.

Aus nicht nachvollziehbaren Gründen ging die Akte beim Oberlandesgericht Hamm mit einer Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. Januar 2011 erst am 28. Januar 2011 ein.

II.

Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen worden, weil es gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen. Der vorliegende Einzelfall gibt Veranlassung, die Frage einer im Rechtsbeschwerdeverfahren eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und deren Kompensation näher zu klären.

Die Entscheidung über die Übertragung der Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern beruht auf einer Entscheidung des Einzelrichters gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber nur geringen Erfolg.

A.

Soweit sich die Angriffe des Betroffenen gegen den Schuldspruch richten, sind sie aus den zutreffenden Gründen der dem Verteidiger mitgeteilten Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. Januar 2011 unbegründet im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO. Dies wird auch nicht durch die Gegenerklärung des Verteidigers vom 10. Februar 2011 in Frage gestellt wird.

Ergänzend bemerkt der Senat insoweit nur Folgendes: Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO entspringt der schonenden Rücksicht auf die Familienbande, die den Betroffenen mit dem Zeugen verknüpfen. Diesem wird deshalb ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht gewährt, das zum Ausschluss des Beweismittels im Ganzen führt, wenn er von seinem Recht Gebrauch macht. Aus übergeordneten Gründen, nicht nur wegen des Gewissenskonflikts des Zeugen, sondern auch zum Schutz der Familie des Betroffenen soll es im Interesse des Zeugen liegen, ob er aussagen will oder nicht (BGH St 11, 213/216). Aus dem Verhalten des die Aussage verweigernden Zeugen dürfen keine Schlüsse auf sein Wissen gezogen werden, da der Zeuge dann gegebenenfalls durch sein Verhalten zur Verurteilung beitragen würde und er somit in den persönlichen Gewissenskonflikt gebracht würde, den ihm sein Aussageverweigerungsrecht ersparen will (BGHSt 32, 140/141f.; BGH

NStZ 1985, 87; OLG Köln VRS 57, 425/426). Scheidet der sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufende Zeuge somit in dieser Hinsicht als Beweismittel grundsätzlich aus, so kann und muss das Gericht gemäß § 244 Abs. 2 StPO die äußere Erscheinung des Zeugen als Gegenstand einer Inaugenscheinnahme für die Urteilsfindung verwenden (BGH Beschluss vom 15. Juni 2004, - 1 StR 80/04 m.w.N.; BGH GA 1965, 108; OLG München, Beschluss vom 23. April 2009, - 4 StRR 27/09- (juris)); . Hierzu darf das Gericht sich auch sachverständiger Hilfe bedienen. Entgegen der Auffassung der Verteidigung darf der Sachverständige den Zeugen zum Zwecke eines Vergleichsgutachtens auch fotografieren, da dies keine körperliche Untersuchung des Zeugen im Sinne des § 81 c StPO darstellt. Darüber hinaus ergibt sich die Zulässigkeit der Anfertigung von Lichtbildern aus einem Umkehrschluss des § 81 b StPO.

B.

Auch der Rechtsfolgenausspruch hält im Wesentlichen einer rechtlichen Prüfung stand.

1) Das Amtsg...

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