Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit. Schifffahrtsgericht. Schifffahrtsobergericht. schifffahrtspolizeiliche Vorgänge. gemeinsames Obergericht
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Zuständigkeitsstreit zweier Amtsgerichte im selben Landgerichtsbezirk ist das übergeordnete Landgericht dann nicht als das gemeinschaftliche obere Gericht i.S.d. § 14 StPO anzusehen, wenn keine sachliche Zuständigkeit (hier: Schifffahrtssachen) des Landgerichts besteht. Stattdessen obliegt die Entscheidung eines sachlichen Kompetenzkonfliktes zwischen einem Amtsgericht, Strafrichterabteilung, und einem Amtsgericht, Schifffahrtsgericht, im selben Landgerichtsbezirk entsprechend §§ 14, 19 StPO dem Oberlandesgericht, welches Schifffahrtsobergericht und Rechtsmittelgericht ist, als gemeinschaftlichem oberen Gericht.
2a. Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a BSchVerfG kommt es darauf an, ob die Straftat unter Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften begangen wurde und hierauf das Schwergewicht der Tat liegt. Das Schwergewicht der Tat liegt insbesondere dann in der Verletzung solcher Normen, wenn die Beurteilung der Tat der besonderen Sachkunde der Schifffahrtsgerichte bedarf.
2b. Dabei ist grundsätzlich eine weite und großzügige Bewertung der Zuständigkeitsvorschriften zugunsten der Sachkunde des Schifffahrtsgerichts angezeigt. Insoweit neigt der Senat der Auffassung zu, in Zweifelsfällen der Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts den Vorzug zu geben.
2c. Vor diesem Hintergrund kann es ausreichen, dass es sich um schifffahrtspezifische Vorgänge handelt und im Vorfeld der vorgeworfenen Tathandlung ein Verstoß gegen schifffahrtspolizeiliche Vorschriften in Rede steht, welcher für die Bewertung der Tat relevant ist und die besondere Sachkompetenz und Erfahrung des Schifffahrtsgerichts erfordert.
2d. Insbesondere im Falle eines Vorwurfs wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, § 114 StGB, kann sich der erforderliche spezifische Zusammenhang zwischen Tatvorwurf und Verstößen gegen schifffahrtspolizeiliche Vorschriften zudem daraus ergeben, dass schifffahrtspolizeiliche Vorschriften für die Bewertung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung der Vollstreckungsbeamten im Rahmen des § 114 StGB ausschlaggebend sind.
Normenkette
StPO §§ 14, 19; BSchVerfG § 2 Abs. 3; StGB § 114
Verfahrensgang
AG Dortmund (Aktenzeichen 703 Ds 123719) |
Tenor
Die Untersuchung und Entscheidung der Sache obliegt dem Amtsgericht - Schifffahrtsgericht - Dortmund.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat unter dem 12.06.2019 gegen den Beschuldigten Anklage vor dem Amtsgericht - Strafrichter - Hamm wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 2, 230 StGB) erhoben.
Dem Angeschuldigten wird zur Last gelegt, er habe am 18.12.2018 in I gegen 18.00 Uhr mit dem Großmotorgüterschiff "N" in einen abgesperrten Bereich des T-I-Kanals einfahren wollen, dabei Weisungen des Bootsführers eines Schiffes des Wasser- und Schifffahrtsamtes (WSA) I ignoriert und mit dem Schiff auffällige Maschinenmanöver getätigt. Die Polizeibeamten S und L seien daraufhin durch ein Boot des WSA I zu dem Schiff des Angeschuldigten gebracht worden. Dieser habe unmittelbar in Richtung der Beamten geschrien. Der Angeschuldigte habe sodann plötzlich einen Aktenordner und ein Bordbuch in Richtung von PK L, der etwa 1,5 m von ihm entfernt gestanden habe, geworfen. Der Beamte habe dem Gegenstand ausweichen können, wobei der Angeschuldigte Schmerzen des Beamten bewusst hingenommen habe.
Nachdem der Verteidiger des Angeschuldigten am 25.09.2019 die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamm gerügt und die Verweisung an das Schifffahrtsgericht beantragt hatte, die Staatsanwaltschaft dem jedoch entgegen getreten war, hat sich das Amtsgericht - Strafrichter - Hamm mit Beschluss vom 19.11.2019 für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht - Schifffahrtsgericht - Dortmund verwiesen.
Zur Begründung führte es aus, die Sache falle als Binnenschifffahrtssache im Sinne des § 2 Abs. 3 S. 1 Buchst. a) des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen (BinSchVerfG) gemäß §§ 1, 3 Abs. 3, 5 Abs. 1 i.V.m. 4 Abs. 1 S. 1 BinSchVerfG i.V.m. § 1 Nr. 2 der Verordnung des Ministeriums des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen über die Zuweisung von Binnenschifffahrtssachen (GV. NRW. 1984, S. 205) (NRWBSchiffZVO) in die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Dortmund als Schifffahrtsgericht. Insofern sei eine weite und großzügige Bewertung der Zuständigkeitsvorschriften zugunsten der Sachkunde des Schifffahrtsgerichts angezeigt. Entscheidend sei, dass es sich um schifffahrtsspezifische Vorgänge handele, deren Beurteilung eine besondere Sachkunde erfordere. Dies sei vorliegend der Fall, weil das Gericht im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Tathandlung und der Strafzumessung Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der Diensthandlung zu treffen habe und hierfür r...