Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung. Verwerfung. Nichterscheinen. Ladung. Gerichtssprache. Rügevorbringen. Verjährung. Einstellung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung - einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO - ist in deutscher Sprache abzufassen, weil die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG).
2. Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird.
3. Zur ordnungsgemäßen Erhebung der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren bedarf es in einem solchen Fall des Vortrags, dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war.
4. Der Protokollvermerk über eine Rechtsmittelbelehrung beweist nicht nur die Belehrung als solche, deren Richtigkeit und Vollständigkeit, sondern bei Anwesenheit eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung auch deren korrekte Übersetzung.
5. Die Teileinstellung des Verfahrens durch das Revisionsgericht kann durch Beschluss gem. §§ 349 Abs.4; 206 a Abs. 1 StPO erfolgen.
Normenkette
StPO § 344 Abs. 2, § 329 Abs. 1 S. 1, § 35a; GVG § 184; StPO § 354 Abs. 1b S. 1, § 206a; StGB § 78 Abs. 3 Nr. 4; StPO § 473 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 21.01.2016; Aktenzeichen 12 Ns 566 Js 269/15 - 20/16) |
Tenor
- Das Urteil der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 28. April 2016 und das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.Januar 2016 werden aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat Ziffer II., 2. des Urteils des Amtsgerichts Bielefeld vom 21. Januar 2016 (Tatzeit: "Etwa im Frühjahr 2009") verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren gemäß § 206 a Abs. 1 StPO eingestellt.
- Darüber hinaus werden das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.Januar 2016 und das Urteil der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 28. April 2016 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
- Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
- Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin werden dem Angeklagten auferlegt (§ 473 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 4 S. 1 StPO).
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Strafrichter - Bielefeld hat den Angeklagten durch Urteil vom 21. Januar 2016 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
Der Verurteilung liegen Taten des Angeklagten zum Nachteil seiner früheren Ehefrau, der Nebenklägerin T, zugrunde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts sind die gefährlichen Körperverletzungen durch den Angeklagten im Zeitraum August 2008 bis Oktober 2008 sowie im Sommer 2013 begangen worden; die vorsätzlichen Körperverletzungen beging der Angeklagte nach den Feststellungen "etwa im Frühjahr 2009" und im Juli 2014.
Die gegen das Urteil des Amtsgerichts gerichtete Berufung hat die 12. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld mit Urteil vom 28. April 2016 gem. § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich Revision eingelegt, die er durch seinen Verteidiger unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts und unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge begründet hat. Der Angeklagte rügt insbesondere die Wirksamkeit der Ladung zum Berufungshauptverhandlungstermin, weil ihm, da er als jesidischer Kurde nur über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfüge, die mit der Ladung erfolgte Belehrung über die Bedeutung und die Folgen des Fernbleibens im Berufungshauptverhandlungstermin nicht verständlich gewesen sei. Da die Ladung nebst Belehrung nicht in übersetzter Form an den Angeklagten zugestellt worden sei, sei sein Anspruch auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren verletzt und habe die Strafkammer das Nichterscheinen des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen dürfen.
Die 12. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld hat den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Berufungshauptverhandlungstermins mit Beschluss vom 8. Juni 2016 - rechtskräftig - verworfen.
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2016 hat der Senat die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen, dass bei der Tat Ziff. II., 2. des Urteils des Amtsgerichts das Vorliegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung in Betracht kommt und dass der von der Nebenklägerin am 16. D...