Leitsatz (amtlich)
1.
Zwar kann gemäß § 40 Abs. 3 StPO die öffentliche Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung bereits dann angeordnet werden, wenn die gewöhnliche Zustellung an den - zum damaligen Zeitpunkt nicht durch einen Verteidiger vertretenen - Angeklagten unter der Anschrift nicht möglich ist, unter der letztmals zugestellt worden ist. Das setzt aber voraus, dass nach der letzten wirksamen Zustellung zunächst ein weiterer Zustellungsversuch seitens des Gerichts erfolgt ist.
2.
Zum Begriff der Wohnung, wenn sich der Angeklagte rund fünf Monate in der Türkei aufhält.
Verfahrensgang
LG Hagen (Entscheidung vom 29.11.2005) |
LG Hagen (Entscheidung vom 09.09.2005) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 9. September 2005 gewährt.
Die hilfsweise eingelegte Revision ist infolgedessen gegenstandslos.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Schwelm - die Strafrichterin - hat gegen den Angeklagten durch Urteil vom 22. April 2005 wegen Körperverletzung und Bedrohung eine Freiheitsstrafe in Höhe von vier Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte noch am selben Tag zu Protokoll der Geschäftsstelle Berufung eingelegt und zugleich erklärt, er halte sich in der Zeit vom 5. Mai bis zum 5. Oktober 2005 in der Türkei auf, um sich von seinen Operationen zu erholen. Eventuelle Post könne ihm weiterhin unter seiner Anschrift in Schwelm übersandt werden, da sich sein Sohn C.Z. darum kümmern werde. Durch Verfügung vom 3. Mai 2005 ordnete die Richterin die Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils an den Angeklagten an. Da eine persönliche Übergabe des Schriftstücks nicht möglich war, erfolgte die Zustellung am 10. Mai 2005 im Wege der Ersatzzustellung durch Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten.
Der Vorsitzende der 7. Strafkammer des Landgerichts Hagen, die über die Berufung des Angeklagten zu befinden hat, veranlasste Ermittlungen nach dem Aufenthalt des Angeklagten, ob und gegebenenfalls wo sich der Angeklagte in der Türkei aufhalte und wann mit seiner Rückkehr zu rechnen sei. Der Sohn des Angeklagten teilte auf Befragen mit, sein Vater halte sich bis zum 5. Oktober 2005 in der Türkei auf, eine Anschrift in der Türkei sei ihm aber nicht bekannt. Er - der Sohn - hole jedoch in unregelmäßigen Abständen die Post in der Wohnung seines Vaters ab und bewahre sie bei sich zu Hause auf.
Mit Beschluss vom 22. Juli 2005 ordnete der Vorsitzende der 7. Strafkammer die öffentliche Ladung des Angeklagten zu dem auf den 9. September 2005 bestimmten Termin zur Hauptverhandlung über die von dem Angeklagten eingelegte Berufung an. Zur Begründung heißt es, eine Zustellung unter einer Anschrift (gemeint ist eine postalische), unter der letztmals zugestellt worden sei und die der Angeklagte zuletzt angegeben habe, sei nicht möglich (§ 40 Abs. 3 StPO). Dieser Beschluss und die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung am 9. September 2005 waren in dem Zeitraum vom 1. August 2005 bis zum 18. August 2005 an der Gerichtstafel des Landgerichts Hagen angeheftet. Nachdem der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung am 9. September 2005 nicht erschienen war, verwarf die 7. Strafkammer des Landgerichts Hagen die Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO.
Mit Beschluss vom selben Tag ordnete der Vorsitzende der 7. Strafkammer die öffentliche Zustellung des Urteils der Strafkammer an. Dieser Beschluss befand sich in der Zeit vom 14. September bis zum 28. September 2005 an der Gerichtstafel des Landgerichts Hagen sowie in der Zeit vom 13. September bis zum 28. September 2005 an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Schwelm.
Nachdem der Angeklagte am 4. Oktober 2005 aus der Türkei zurückgekehrt war, erkundigte er sich am folgenden Tag auf der zuständigen Geschäftsstelle des Landgerichts Hagen nach dem Stand seines Berufungsverfahrens und erhielt die Auskunft, dass die Berufung wegen seines unentschuldigten Nichterscheinens verworfen worden sei. Daraufhin meldete sich für den Angeklagten ein Verteidiger und der Angeklagte beantragte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 6. Oktober 2005, beim Landgericht Hagen am selben Tag eingegangen,
unter näherer Begründung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung.
Gleichzeitig legte er für den Fall der Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 9. September 2005 ein.
Nachdem dem Verteidiger das Verwerfungsurteil des Landgerichts Hagen vom 9. September 2005 am 17. Oktober 2005 zugestellt worden war, wiederholte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18. Oktober 2005, beim Landgericht Hagen am 19. Oktober 2005 eingegangen, sein Wiedereinsetzungsgesuch und legte für den Fall der Verwerfung dieses Antrage...