Verfahrensgang
LG Essen (Entscheidung vom 10.02.2009; Aktenzeichen 51 Ns 4/09) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Bottrop vom 19. Dezember 2008 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 3 Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Jugendstrafe von 7 Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls erklärte die anwaltlich nicht vertretene seinerzeit 19 Jahre und 3 Monate alte Angeklagte nach Belehrung über die Möglichkeit der Einlegung der Berufung und der Revision und über die Form- und Fristvorschriften, dass sie - wie auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft - auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das soeben verkündete Urteil verzichte. Diese Erklärung wurde ausweislich des Protokolls vorgelesen und genehmigt.
Mit am selben Tag bei dem Amtsgericht Bottrop eingegangenem Schriftsatz vom 23. Dezember 2008 meldete sich für die Angeklagte erstmals - unter Vorlage einer Vollmacht - der Verteidiger, der u. a. gegen das Urteil vom 19. Dezember 2008 Rechtsmittel einlegte und erklärte, für die Angeklagte als Pflichtverteidiger tätig werden zu wollen. Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 15. Januar 2009 beantragte der Verteidiger mit näheren Ausführungen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, soweit dem eingelegten Rechtsmittel ein - seiner Auffassung nach unwirksamer - Rechtsmittelverzicht entgegenstehe.
Mit Beschluss vom 10. Februar 2009 hat die XVI. große Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Essen das Rechtsmittel der Angeklagten vom 23. Dezember 2008 gegen das Urteil des Jugendschöffengerichts Bottrop vom 19. Dezember 2008 sowie den Antrag auf Wiedereinsetzung den vorigen Stand als unzulässig verworfen.
Gegen diesen dem Verteidiger am 18. Februar 2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Angeklagte durch ihren Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde vom 19. Februar 2009, eingegangen bei dem Landgericht Essen am 25. Februar 2009, die mit Schriftsatz des Verteidigers vom 03. März 2009 mit näheren Ausführungen begründet worden ist.
II.
Die gem. § 322 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet. Das Landgericht hat das als Berufung zu behandelnde Rechtsmittel der Angeklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen, denn der von der seinerzeit nicht anwaltlich vertretenen Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht erklärte und im Protokoll beurkundete Rechtsmittelverzicht war unwirksam. Der Rechtsmittelverzicht steht mithin der Zulässigkeit des von dem alsdann beauftragten Verteidiger fristgerecht eingelegten Rechtsmittels nicht entgegen.
Zwar kann ein erklärter Rechtsmittelverzicht als Prozesshandlung grundsätzlich nicht widerrufen, angefochten oder sonst zurückgenommen werden. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass in besonderen Fällen schwerwiegende Willensmängel bei der Erklärung des Rechtsmittelverzichts aus Gründen der Gerechtigkeit dazu führen, dass eine Verzichtserklärung von Anfang an unwirksam ist (vgl. BVerfG NStZ-RR 2008, 209 m. zahlr. w. N., BGH NStZ-RR 1997, 173; NStZ 2000, 441); denn im Hinblick auf die Unwiderruflichkeit des Rechtsmittelverzichts kann es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sein, wenn der Angeklagte nur aus formellen Gründen an den äußeren Wortsinn einer Erklärung gebunden wird, der mit seinem Willen nicht Einklang steht (BVerfG a.a.O.).
Ein solcher Ausnahmefall wird u. a. dann angenommen, wenn entgegen § 140 StPO ein Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht mitgewirkt hat und der Angeklagte unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf Rechtsmittel verzichtet hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., Rdnr. 24 zu § 302 m. w. N.). Der von einem Angeklagten in derartiger Weise abgegebene Rechtsmittelverzicht wird als unwirksam angesehen, weil sich der Angeklagte nicht mit einem Verteidiger beraten konnte, der ihn vor übereilten Erklärungen hätte abhalten können (vgl. Kammergericht NStZ-RR 2007, 209; Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 25 a zu § 302).
Im Jugendgerichtsverfahren ist dem Heranwachsenden gem. §§ 109 Abs. 1, 68 Nr. 1 JGG ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die Bestellung auch für einen Erwachsenen geboten wäre. Hierin sieht die allgemeine Meinung eine Verweisung auf die Vorschrift des § 140 StPO (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2006, 26, Strafverteidiger 2008, 120 jeweils m. w. N.). Danach ist die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung und die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Die "Schwere der Tat", die sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgen...