Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 115 O 199/20)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Das Landgericht hat der auf Zahlung von Pflegetagegeld gerichteten Klage zu Recht stattgegeben und die Widerklage ebenfalls mit Recht abgewiesen. Die Berufungsangriffe aus der Berufungsbegründung vom 29.03.2022 (Bl. 39 ff. der elektronischen Gerichtsakte zweiter Instanz, im Folgenden: eGA-II und für die erste Instanz eGA-I) greifen nicht durch.

1. Die Klage ist in dem vom Landgericht ausgeurteilten Umfang begründet.

a) Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung rückständigen Pflegetagegeldes in Höhe von 37.275,- EUR nebst Zinsen aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag zu.

aa) Dieser Vertrag ist wirksam. Die von der Beklagten erklärte Anfechtung ihrer Annahmeerklärung (§ 142 Abs. 1 BGB) greift nicht durch.

Zwar bleibt gemäß § 22 VVG das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, von den Regelungen in den §§ 19 ff. VVG grundsätzlich unberührt. Der Senat teilt aber die Auffassung des Landgerichts, dass der Kläger bei Vertragsschluss die Beklagte nicht getäuscht hat.

(1) Unstreitig hat der Kläger nicht ausdrücklich etwas Falsches erklärt, sondern die von der Beklagten gestellten Fragen vielmehr zutreffend beantwortet. Es kommt deshalb von Vornherein nur eine Täuschung durch Unterlassen in Frage.

Ob und unter welchen genauen Voraussetzungen auch eine solche Täuschung durch Unterlassen von § 22 VVG erfasst wird und demgemäß ungeachtet der §§ 19 ff. VVG eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung rechtfertigen kann, ist umstritten. Ausgehend von dem klaren Wortlaut des § 22 VVG und der Entstehungsgeschichte dieser Norm (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25.11.2015 - IV ZR 277/14, r+s 2016, 117 Rn. 15) spricht viel dafür, eine Arglistanfechtung auch in diesen Fällen grundsätzlich für möglich zu halten (vgl. Senat, Beschluss vom 10.07.2019 - 20 U 72/19, BeckRS 2019, 35892 unter I.1.b.bb; Senat, Beschluss vom 27.02.2015 - 20 U 26/15, VersR 2015, 1551 = r+s 2017, 68 = juris Rn. 10; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.04.2018 - 12 U 156/16, VersR 2018, 866; OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.12.2015 - 12 U 57/15, VersR 2016, 445 juris, Rn. 36; OLG Celle, Urteil vom 09.11.2015 - 8 U 101/15, VersR 2016, 270). Dieser Streit bedarf vorliegend aber keiner Entscheidung. Jedenfalls liegt eine Täuschung des Klägers durch Unterlassen nicht vor.

Im Rahmen von § 123 Abs. 1 BGB kommt eine solche Täuschung durch Unterlassen nur dann in Betracht, wenn im konkreten Fall eine Aufklärungspflicht bestand, weil der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte redlicherweise eine Aufklärung erwarten durfte (statt vieler BGH, Urteil vom 11.08.2010 - XII ZR 192/08, NJW 2010, 3362, juris Rn. 22). Dabei ist es grundsätzlich Sache jedes Vertragspartners, seine Interessen selbst wahrzunehmen (BGH, a.a.O, juris Rn. 23 ff.). Es besteht daher keine allgemeine Pflicht, jegliche Umstände mitzuteilen, welche für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können.

Der Senat muss nicht abschließend entscheiden, welche Mitteilung ein Versicherer über die von ihm gemäß § 19 Abs. 1 VVG gestellten Fragen hinaus zur Aufklärung erwarten darf; ohnehin handelt es sich dabei um eine nicht abstrakt zu beantwortende, sondern von den Umständen des Einzelfalls abhängige Frage (vgl. BGH, Beschluss vom 19.05.2011 - IV ZR 254/10, r+s 2011, 421, juris Rn. 3 f.). Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass Fälle wie der vorliegende dadurch gekennzeichnet sind, dass ein Versicherungsnehmer einem Versicherer gegenübertritt, der geschäftserfahren ist und gerade für die Vertragsanbahnung einen Fragebogen entwickeln konnte und entwickelt hat, mit dem er zum Ausdruck bringt, welche Umstände für ihn im Hinblick auf den Vertragsschluss relevant sind. Daraus folgt, dass die Anfechtung in derartigen Konstellationen auf außergewöhnliche Fallgestaltungen beschränkt sein muss, etwa wenn sich eine Mitteilungspflicht aus besonderen Gründen dem Versicherungsnehmer aufdrängt (so auch S. 4 oben der Berufungsbegründung m.w.N.).

Daran fehlt es vorliegend trotz des Umstandes, dass bei dem noch ungeborenen Kind des Klägers eine Herzerkrankung bereits diagnostiziert worden war.

Dafür spricht bereits, dass es sich bei einer bereits vorgeburtlich im Mutterleib bestehenden Erkrankung keineswegs um einen Umstand handelt, der so ungewöhnlich wäre, dass ein Versicherer danach nicht fragen könnte. Derartiges kommt - glücklicherweise - ni...

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