Leitsatz (amtlich)
Bei ungelernten Arbeitnehmern ist bei fiktiver Einkommensermittlung in der Regel nur der Mindestlohn zugrunde zu legen. Das gilt aber dann nicht, wenn eine bestimmte Tätigkeit über längere Zeit ausgeübt worden ist und dort nachhaltige über den Mindestlohn hinausgehende Einkünfte erzielt worden sind.
Normenkette
BGB §§ 1601-1603, 1612a
Verfahrensgang
AG Bochum (Aktenzeichen 60 F 75/21) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der am 31.03.2023 verkündete Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bochum abgeändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, für den Zeitraum vom 01.06.2021 bis zum 30.11.2023 an den Antragsteller, zu Händen der Kindesmutter, rückständigen Kindesunterhalt in Höhe von 9.793,50 EUR sowie laufenden Kindesunterhalt ab Dezember 2023 in Höhe von monatlich 272,00 EUR, jeweils zahlbar bis zum 3. Werktag eines Monats, zu zahlen.
Der weitergehende Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.959,00 EUR festgesetzt.
Der Beschluss ist sofort wirksam.
Gründe
A. Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner, seinem Vater, für die Zeit ab Juni 2021 die Zahlung von Mindestunterhalt.
Der Antragsteller ist aus der zwischenzeitlich geschiedenen Ehe des Antragsgegners mit der Kindesmutter hervorgegangen.
Die Kindesmutter ist wieder verheiratet, was zum Entfall der Unterhaltsvorschusszahlungen führte. Aus der neuen Ehe ist das am 20.11.2020 geborene Kind D. hervorgegangen.
Der Antragsgegner hat nach dem Hauptschulabschluss eine Lehre als Maler- und Lackierer aufgenommen, aus gesundheitlichen Gründen aber nicht beendet. Sodann war er bei zwei Pflegediensten als Pflegehilfskraft von 2001 bis 2003 tätig. Nach zwei weiteren Jahren bei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen, wo er Helfertätigkeiten ausführte, war er ab 2005 bis 2019 als Lagerhelfer tätig. Zuletzt bei Amazon, wo er als Kommissionierer auch andere Mitarbeiter eingewiesen und die Förderbandanlage überwacht und Störungen beseitigt hat. Diese Tätigkeit hat er im Hinblick auf die Scheidung von sich aus beendet.
Seit dieser Zeit ist der Antragsgegner keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen.
Er lebt in einer nichtehelichen Partnerschaft. Seine Lebensgefährtin war zunächst als Bäckereifachverkäuferin und ist nunmehr als Postzustellerin tätig.
Er ist zudem Vater eines weiteren Kindes, nämlich des am 26.09.2009 geborenen B.. Mit der Mutter hat er ein Wechselmodell vereinbart und insoweit im August 2022 vor dem Jugendamt eine schriftliche Vereinbarung abgeschlossen. Danach wird ein paritätisches Wechselmodell gelebt und die Mutter ist verpflichtet, dem Antragsgegner die Hälfte des bezogenen Kindergeldes auszuzahlen.
Mit anwaltlichen Schreiben vom 09.06.2021 ist der Antragsgegner zur Auskunft und zur Zahlung von Kindesunterhalt aufgefordert worden.
Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, der Antragsgegner könne den Mindestunterhalt zahlen. Hierzu hat er behauptet, der Antragsgegner sei gesund und leistungsfähig.
Er hat sinngemäß beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, an ihn, zu Händen der gesetzlichen Vertreterin, ab 01.06.2021 Kindesunterhalt in Höhe von 100% des Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen gesetzlichen Kindergeldes monatlich im Voraus, jeweils bis zum 3. Werktag eines Monats, zu zahlen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er hat sich auf fehlende Leistungsfähigkeit berufen. Seit der Zeit der Scheidung und der Probleme im Umgang mit dem Antragsteller habe er eine Depression entwickelt, aufgrund derer er arbeitsunfähig sei.
Das Familiengericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erwerbsfähigkeit des Antragsgegner diesen verpflichtet, für die Zeit von Juni 2021 bis März 2023 eine Unterhaltsrückstand i.H.v. 7.285,50 EUR und ab April 2023 einen laufenden monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 385,00 EUR zu zahlen.
Dabei hat das Familiengericht den Antragsgegner als Lagerarbeiter fiktiv oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns veranlagt und für B. lediglich den hälftigen Barunterhalt angerechnet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses Bezug genommen.
Gegen den am 18.04.2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am 17.05.2023 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Auf seinen Antrag vom 16.06.2023 ist die Frist zur Begründung der Beschwerde bis zum 19.07.2023 verlängert worden. Mit der am 19.07.2023 eingegangenen Beschwerdebegründung begehrt er eine Reduzierung des zuerkannten Kindesunterhalts und beabsichtigt die Beschwerde nach Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe dahingehend zu erweitern, dass er keinen Unterhalt zahlen muss. Von dieser Erweiterung der Beschwerde hat er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Abstand genommen.
Er ist der Ansicht, dass Familiengericht habe mehr zugesprochen, als beantragt worden sei.
Ferner habe das Familiengericht ein zu hohes fiktives Einkommen angesetzt, da es über den Mindestlohn hinausgegan...