Leitsatz (amtlich)
Zur (verneinten) Fluchtgefahr, wenn von einer erkannten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten nach Anrechnung von bereits erlittener Untersuchungshaft unter Berücksichtigung einer zu erwartenden positiven 2/3-Entscheidung allenfalls noch ein Strafrest von knapp 22 Monaten verbleibt
Verfahrensgang
LG Hagen (Entscheidung vom 20.11.2002) |
Tenor
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 17.März 2002 (67 Gs 344/02) in der Fassung der Haftfortdauerbeschlüsse des Amtsgerichts Hagen vom 29.Juli 2002 sowie vom 11.September 2002 (74 Ls 100 Js 84/02 -28/02-) wird aufgehoben.
Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Der am 16.März 2002 vorläufig festgenommene Angeklagte befindet sich seit dem 17.März 2002 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom selben Tag (67 Gs 344/02), hinsichtlich der Haftgründe ergänzt und neu gefasst durch Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 29.Juli 2002 (74 Ls 100 Js 84/02 -28/02-), in dieser Sache ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hagen. Durch Urteil des erweiterten Schöffengerichts des Amtsgerichts Hagen vom 11.September 2002 (74 Ls 100 Js 84/02 -28/02-) ist gegen ihn wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten erkannt worden. Der zur Tatzeit 48 Jahre alte Angeklagte hatte nach den Urteilsfeststellungen am Morgen des 16.März 2002 mit seiner damals 21 Jahre zählenden Ehefrau H. W. nach ihrer Rückkehr von einer Liebesnacht mit ihrem neuen Freund, für den sie sich von ihm trennen wollte, als Bestrafungsaktion in Gegenwart seines Sohnes gegen ihren Willen gewaltsam zwei Mal den vaginalen Geschlechtsverkehr sowie ein Mal den Analverkehr ausgeübt. Außerdem hatte er danach seine Ehefrau gezwungen, zunächst eine 0, 75 Liter Sprudelflasche und anschließend das vibrierende Griffstück einer elektrischen Zahnbürste in ihre Vagina einzuführen. Denn er hatte in der Nacht zuvor von seinem zu diesem Zeitpunkt ebenfalls 21 Jahre alten Sohn D. W. erfahren, dass dieser seit über einem Jahr eine intime Beziehung zu jener unterhalten hatte und statt des Angeklagten als Vater ihrer Tochter D. in Betracht komme. Durch Beschluss des erweiterten Schöffengerichts vom 11.September 2002 ist der Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 17.März 2002 in der Fassung der Haftfortdauerentscheidung vom 29.Juli 2002 nach Maßgabe des Urteils aus den Gründen seiner Anordnung aufrechterhalten worden. Am 12.September 2002 hat der Angeklagte gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 07.November 2002 hat er gegen den Haftbefehl in der Fassung der Haftfortdauerentscheidungen vom 29.Juli und 11. September 2002 Beschwerde eingelegt, die nach Nichtabhilfe seitens des erweiterten Schöffengerichts Hagen durch Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 20.November 2002 (41 Qs 84/02) als unbegründet verworfen worden ist. Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. November 2002 eingelegte weitere Beschwerde des Angeklagten, die das Landgericht Hagen dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat, ohne über eine Abhilfe zu befinden.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die weitere Haftbeschwerde zu verwerfen.
II.
1.
Die weitere Haftbeschwerde ist gemäß § 310 StPO statthaft und auch sonst zulässig.
Da für das Verfahren die allgemeinen Vorschriften über die Beschwerde gelten (Karlsruher Kommentar-Engelhardt, StPO, 4. Aufl. 1999, § 310 Rn. 13), hätte die 1. große Strafkammer des Landgerichts Hagen zunächst über die Frage der Abhilfe nach § 306 Abs. 2 StPO entscheiden müssen, bevor sie die Akten dem Senat zur Entscheidung über die weitere Beschwerde vorlegt. Ist eine Abhilfeentscheidung des Erstbeschwerdegerichts unterblieben, hat das über die weitere Beschwerde befindende Gericht unter Berücksichtigung seiner Pflicht zur schnellen und wirtschaftlichen Erledigung der Beschwerde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, ob es selbst entscheiden oder dem Erstbeschwerdegericht Gelegenheit geben will, eine unterlassene Entscheidung über die Abhilfe ordnungsgemäß nachzuholen (vgl. Löwe-Rosenberg-Gollwitzer, StPO, 24. Aufl. 1988, § 306 Rn. 27). Während in der Literatur zum Teil die Auffassung vertreten wird, eine Zurückverweisung zur Nachholung des Abhilfeverfahrens sei stets zulässig (Karlsruher Kommentar-Engelhardt, a. a. O. , § 306 Rn. 19), kommt sie nach anderer Meinung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn dadurch das Verfahren beschleunigt wird (OLG München NJW 1973, 1143; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. 2001, § 306 Rn. 10; Heidelberger Kommentar-Rautenberg, StPO, 1. Aufl. 1997, § 306 Rn. 11). Dagegen scheidet sie im Interesse der Verfahrensbeschleunigung aus, wenn das mit der weiteren Beschwerde befasste Gericht selbst sofort entscheiden kann, weil das Abhilfeverfahren für dessen Entscheidung ...